Rund 65 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Flächen in Europa sind für die konventionelle Landwirtschaft kaum oder gar nicht nutzbar. Das europäische Forschungsprojekt MAGIC – „Marginal lands for Growing Industrial Crops“ – will dieses enorme Potenzial erschließen. Forschende aus zwölf Ländern beschäftigen sich seit mehr als drei Jahren mit der Frage, wie Landwirte diese sogenannten marginalen landwirtschaftlichen Nutzflächen mit wenig Aufwand mit dem Anbau von Industriepflanzen wirtschaftlich rentabel nutzen können.
Das Fachgebiet Nachwachsende Rohstoffe in der Bioökonomie an der Universität Hohenheim in Stuttgart ist einer von 26 Kooperationspartnern in dem von der EU mit rund sechs Millionen Euro geförderten Bioökonomie-Vorhaben. Das Projekt gehört mit fast 400.000 Euro Fördergeld in Hohenheim zu den Schwergewichten der Forschung. Industriepflanzen liefern nicht nur reichlich erneuerbare Biomasse zur Energieerzeugung, sondern auch für die Produktion biobasierter Rohstoffe. Diese sind wiederum Ausgangsmaterial für die Herstellung von modernen, hochwertigen Materialien, wie beispielsweise biobasierte Kunststoffe oder Verbundmaterialien, Schmierstoffen, Chemikalien und Pharmazeutika.
„MAGIC ist ein breit angelegtes Projekt, mit dem wir europaweit Landwirten Möglichkeiten zum Anbau von Industriepflanzen aufzeigen wollen und ihnen Entscheidungshilfe geben möchten: Angefangen bei der Kartierung von Flächen über Züchtung und Auswahl geeigneter Pflanzen bis hin zur Entwicklung von Anbau- und Ernteverfahren. Nicht zuletzt wollen wir auch Handlungsempfehlungen für Politiker erstellen, um diese Form der landwirtschaftlichen Nutzung zu unterstützen“, erläutert die Leiterin des Fachgebietes Nachwachsende Rohstoffe in der Bioökonomie an der Universität Hohenheim, Prof. Dr. Iris Lewandowski, den Grundgedanken von MAGIC. Einerseits können durch den Anbau von Industriepflanzen marginale landwirtschaftliche Nutzflächen dazu genutzt werden, wertvolle Rohstoffe für Produkte mit einer hohen Wertschöpfung sowie für die Erzeugung von Bioenergie zu liefern. Zur Nahrungsmittelproduktion entstehe dabei keine Konkurrenz. Andererseits werde auch die Einkommensgrundlage der Landwirte verbessert. „Indem stillgelegte Flächen wieder nutzbar gemacht und damit aufgewertet sowie neue Märkte für die Biomasse erschlossen werden, verbessert sich auch das Einkommen der Anbauer“, fährt Prof. Dr. Lewandowski fort.
Nachhaltigkeit als einer der wichtigsten Bewertungsfaktoren
Ihr Mitarbeiter und seit 2018 Leiter des Hohenheimer Arbeitspaketes Dr. Moritz von Cossel ergänzt: „Das Großgras Miscanthus beispielsweise wächst bis zu 20 Jahre lang auf derselben Fläche, ohne dass der Landwirt den Boden bearbeiten muss. Und da es im Frühjahr jeden Jahres geerntet wird, verhindert es nicht nur, dass bei heftigen Herbststürmen wertvoller Boden abgetragen wird, sondern trägt auch dazu bei, dass die Bodenfruchtbarkeit gefördert werden kann.“ Nachhaltigkeit spielt eine entscheidende Rolle bei der Bewertung aller Maßnahmen. Denn der Nutzen des Anbaus von Industriepflanzen hängt sehr stark davon ab, ob es zu einer potenziellen Konkurrenz mit der Nahrungsmittelproduktion kommen kann, ob die Biodiversität und andere Ökosystemleistungen beeinträchtigt werden und welche Industriepflanzen und welche Bewirtschaftungsmethoden eingesetzt werden sollen.
Die Wissenschaftlicher wählten insgesamt 20 ein- und mehrjährige Pflanzenarten für weitere Anbauversuche aus, darunter auch wiederentdeckte alte Kulturarten wie Leindotter oder Färberdistel. Viele der Pflanzen sind mehrfach nutzbar. Aus den Samen des Nutzhanfs wird Öl und aus den Stängeln Fasern gewonnen. Darüber hinaus interessiert die Forschenden, welche Bewirtschaftungsmethoden sowohl mit dem geringsten Aufwand für den Landwirt als auch mit dem geringsten Eingriff in das Ökosystem verbunden sind. Dabei zeigte sich, dass vor allem die zum Standort passende Auswahl der Industriepflanzen ein entscheidender Faktor ist. Denn alle anderen notwendigen Maßnahmen, wie Bodenbearbeitung, Düngung, Unkrautbekämpfung, Bewässerung usw. hängen sehr stark davon ab, wie die Pflanze an den jeweiligen Standort angepasst ist. Ebenso muss die Ernte-Technologie auf die jeweilige Pflanzenart zugeschnitten sein. Für die Ernte von Industriepflanzen kommen oft andere Ernteverfahren zum Einsatz als für Nahrungspflanzen. Die Wissenschaftler passen daher die vorhandenen Ernteverfahren an die spezifischen Bedürfnisse an oder entwickeln auch neue Ernte-Methoden.
Europaweit wurden marginale landwirtschaftliche Nutzflächen erfasst und kartiert, auf denen Industriepflanzen, sozial-ökologisch und nachhaltigen Kriterien folgend, angebaut werden könnten. Alle Erkenntnisse aus den Kartierungsarbeiten fließen in eine auf der Projekt-Website öffentlich zugängliche Datenbank ein. Besucher können sich so über den Status von marginalen Landflächen in ihrer Region informieren. Sie können aber auch dabei helfen, die Qualität der Karte zu verbessern. Ergänzend gibt es auf der Website eine weitere Datenbank mit Informationen zu den 20 wichtigsten Industriepflanzen, die auf Marginalstandorten angebaut werden können. In Faktenblättern sind alle wesentlichen Informationen zu der jeweiligen Nutzpflanze zusammengefasst, angefangen bei ihren Boden- und Klimapräferenzen, über die Bodenvorbereitung und Aussaat, Wasser- und Düngebedarf, Krankheiten und Schädlingen, bis hin zu Erträgen und Verwendungszwecken sowie Besonderheiten zu Ernteverfahren und Lagerung. Ein zusätzliches Entscheidungssystem gibt einen schnellen und anschaulichen Überblick über die geeignetsten Industriepflanzen für die gegebenen klimatischen und geologischen Standortbedingungen und soll Landwirten bei der Entwicklung nachhaltiger Industriepflanzenanbausysteme auf marginalen landwirtschaftlichen Nutzflächen helfen.
Quelle: Universität Hohenheim / Delia Roscher