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Forum Neue Energiewelt

Gebäudestrom ist der neue Mieterstrom

Dr. Ernesto Garnier, Geschäftsführer der Einhundert Energie GmbH, beim „Forum Neue Energiewelt“ in Berlin. Foto: Alexander Morhart

Stefan Schneider, Product Owner von Stromlux / Netze BW GmbH. Foto: Alexander Morhart

Totgesagte leben länger. Dem Modell „Mieterstrom“ wird neues Leben eingehaucht – von digital aufgerüsteten Dienstleistern. Für Wohnungsunternehmen bieten diese ein Komplettpaket an, für kleine Eigentümer einen digitalen Werkzeugkasten fürs Selbermachen.

Über viele Jahre hinweg haben steuerliche und rechtliche Fallstricke, nachteilige sowie immer kompliziertere Regelungen und administrative Pflichten die allermeisten Vermieter davon abgehalten, Bewohner direkt mit Strom vom eigenen Dach zu versorgen – EEG-Förderung hin oder her.

Sogar gestiegen ist zuletzt der Kilowatt-Preis fürs Installieren einer Photovoltaikanlage, der zuvor 15 Jahre lang immer niedriger geworden war; und weitgehend geblieben ist der große operative Aufwand in teils fachfremden Bereichen, der einen Gebäudeeigentümer in neuer Funktion als PV-Anlagenbetreiber und Stromversorger belastet – bei zumindest mittelfristig allenfalls moderaten Renditeerwartungen.

Immobiliengesellschaften mit vielen Wohneinheiten können jedoch mittlerweile diesen operativen Aufwand sowie alle Kosten und das finanzielle Risiko fast komplett auf einen Dienstleister abwälzen (Strategie eins). Eigentümer kleinerer Mehrfamilienhäuser müssen selbst investieren, können sich aber bei Zähltechnik und Papierkrieg unterstützen lassen (Strategie zwei).

Zu beiden Strategien gab es beim letzten „Forum Neue Energiewelt“ in Berlin Fachvorträge. EnBauSa.de hat die Chefs von zwei wichtigen Anbietern solcher digital gestützter Dienstleistungen außerdem um Einschätzungen zum aktuellen Stand gebeten.

Strategie eins: Komplettpaket für große Wohnungsbestände

Bei Strategie eins verpachtet der Eigentümer für einen sehr geringen Betrag Dachfläche an einen Dienstleister („Contractor“), der dort eine PV-Anlage plant, finanziert, genehmigen lässt, installiert – falls nötig, mit Gerüst –, die elektrische Installation im Keller umrüstet, fernauslesbare Zähler einbaut und das Ganze anmeldet. Der Dienstleister betreibt dann auch die PV-Anlage, beschafft den nötigen Reststrom und versorgt den Anteil der Mieter beziehungsweise selbst im Haus wohnenden Eigentümer, der einer Lieferung zustimmt. Er stellt den Bewohnern den Strom in Rechnung und treibt gegebenenfalls Forderungen ein.

Möglichst viele der Bewohner als Kunden zu gewinnen ist freilich auch bei einem solchen Rundum-sorglos-Paket Aufgabe des Eigentümers, der dabei vom Contractor lediglich unterstützt wird. Andersherum kann jedoch der Eigentümer dem Dienstleister einzelne Aufgaben abnehmen.

Ein bundesweiter Anbieter von Strategie eins ist die Einhundert Energie GmbH aus Köln, von der EnBauSa.de bereits ein Projektbeispiel vorgestellt hat. Doch wie kann ein derartiger Dienstleister einen solchen Leistungsumfang erbringen und dabei noch eine – symbolische – Pacht an den Hauseigentümer zahlen?

Die Masse macht’s

Aus den Ausführungen von „Einhundert“-Geschäftsführer Ernesto Garnier lassen sich im Wesentlichen zwei Antworten ableiten: Zum einen sind alle Arbeitsprozesse – von der Gebäudeanalyse über die Netzbetreiberanträge bis hin zu Messkonzept, Bilanzierungen und Mieterportal – in hohem Maße digitalisiert und automatisiert. Bezogen zum Beispiel auf die Anlageninstallation sagt Garnier, alles sei „in einer Plattform in Prozessen hinterlegt, die eben auch Juniorenkräfte standardisiert durchführen können.“ Mit anderen Worten: Das Ziel kann mit niedrigen Arbeitskosten erreicht werden.

Zum anderen senkt der Dienstleister die Beschaffungs- und Administrationskosten, indem er sich auf Projekte mit großen Bestellmengen beschränkt. Ernesto Garnier illustriert die Wirkung mit einem Rechenbeispiel. Würde er ein Vorhaben mit nur einem einzigen Gebäudeobjekt anpacken und sich „ein Angebot holen für die PV-Installation bei den aktuellen Marktpreisen“, liege er „bei 2500 Euro pro Kilowatt-Peak inklusive elektrischer Installation. Das ist unwirtschaftlich.“

Dagegen bei 100 Gebäuden zum Beispiel einer Wohnungsbaugenossenschaft: „Wenn ich 100 Objekte anfrage, dann kriege ich vielleicht fünf oder sechs Angebote, bin bei 1500 Euro pro Kilowatt-Peak, weil ich ein ganz anderes Volumen für den Installateur erzeuge. Das ist wirtschaftlich.“ Mehr noch: Der Anschluss ans Verteilnetz muss mit dem Verteilnetzbetreiber ausgehandelt werden – seien es nun 100 oder nur ein Gebäude. „Wenn ich es für 100 als Rahmenklärung mache, dann hat sich das gelohnt.“ Auch der Reststrom lässt sich bei großem Bestellvolumen billiger einkaufen als bei einem kleinen. „Vom Pilotieren zum Skalieren“ nennt das Garnier.

Auch für 400 Wohnungen kann es sich lohnen

Als Richtzahl für potenzielle Kunden nennt der Geschäftsführer 1000 Wohneinheiten, sagt aber auf Nachfrage: „Wir gehen durchaus herunter auf acht Wohneinheiten pro Objekt“. Dann sollte es jedoch um mindestens 50 Objekte gehen. Nicht die Einzelobjekte müssten riesig sein; es gehe darum, „dass wir Kunden haben, mit denen wir eine Rahmenvereinbarung treffen und dann einen größeren Rollout planen können (...).“

Großvolumig ist auch die Kapitalausstattung des 65-Mitarbeiter-Unternehmens „Einhundert“, an der unter anderem der Energieversorger EWE und die niederländische Triodos-Bank beteiligt sind. Einen zusätzlichen Schub fürs Geschäft erklärt Garnier sich so, dass PV-Strom vom Dach, zum Teil eingespeist in eine Wärmepumpe, in die Lücke stoßen kann, die sich mit dem faktischen Wegfallen der Option Erdgasheizung aufgetan hat. Der Standard bis Mitte 2022 sei gewesen: „Wenn die Heizung kaputt ist, dann gibt’s eine neue Gasheizung.“ Der typische Dekarbonisierungspfad von Immobilienunternehmen bis dahin: „ganz langsam bis 2045“.

Bei den geänderten Rahmenbedingungen würden die Kunden sagen: „Ich brauche jetzt eine Lösung.“ Wo es keine Fernwärme gebe, sei das die Wärmepumpe, und die sei „nur in Kombination mit PV wirklich attraktiv“. Ein Wärmepumpen-Experte würde das in dieser Absolutheit sicher als werbliche Übertreibung werten, aber Garniers aktuelle Vertriebsstatistik lässt zumindest einen starken Impuls plausibel erscheinen: Mitte 2023 liegt die Zahl der Häuser mit „Einhundert“-Mieterstrom bereits bei 650 in Betrieb und 350 weiteren Beauftragungen. Einen weiteren Synergieeffekt sieht der Geschäftsführer in der elektrischen und abrechnungsmäßigen Integration von Auto-Ladesäulen und BHKWs. Der angemessene Begriff sei dann „PV-Gebäudestrom“ statt Mieterstrom.

Strategie zwei: Digitale Selbstbedienung auch für sehr kleine Objekte

Strategie zwei könnte man vielleicht als algorithmenunterstützte Selbstbedienung bezeichnen. „Stromlux“, internes Start-up und Marke des baden-württembergischen Verteilnetzbetreibers Netze BW GmbH, stellt von Karlsruhe aus eine Online-Plattform zur Verfügung, auf der Hauseigentümer nach Registrierung Eckdaten ihres Objekts eingeben können. Mit Hilfe dieser Angaben wird berechnet, ob Mieterstrom wirtschaftlich ist und ob dieses Modell mehr einbringen würde als eine reine Netzeinspeisung. Meist sei das der Fall, sagt Stefan Schneider, Chef („Product Owner“) von StromLux.

Entscheidet sich der Eigentümer für die Umsetzung, lässt er die PV-Anlage installieren; er bezahlt und betreibt sie auch selbst. Ebenso bezahlt er Netze BW eine Gebühr fürs Bereitstellen eines geeigneten Stromzählers und des eigentlichen Onlineportals, dass ihm Informationen über die Anmeldepflichten, den Belieferungsvertrag und für die laufende Abrechnung liefert. Anmelden, den Reststrom organisieren, das Geld von den Bewohnern einfordern und so weiter muss er aber selbst. Letztlich ist es diese Eigenarbeit, die bei Strategie zwei einem Dienstleister die nötige Gewinnspanne auch bei sehr kleinen Objekten verschafft.

Schneiders bisher kleinstes Referenzprojekt im Baubestand, ein Wohnhaus plus Lagerhalle, umfasst zwei Parteien. Zum Skalieren kommen will wie jeder Start-up-Unternehmer freilich auch Stefan Schneider. Er macht darauf aufmerksam, „wieviel Wohnungen in 2- bis 13-Parteien-Häusern in Deutschland sind: Das sind über 22 Millionen Wohnungen.“

Rückenwind könnten Schneider und die gesamte Gebäudestrom-Branche von den Preisverhältnissen bekommen. Ernesto Garnier: „Wenn man für 2023/2024 auf Strompreise von derzeit circa 40 Cent schaut, dann hat einfach der Strom aus der PV-Anlage, der vielleicht bei 12, 13 Cent liegt, einen Riesenvorteil, den man verteilen kann.“

Alexander Morhart

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