Fünf Prototypen der seriellen Sanierung sind in Planung

Erste Baugenossenschaft saniert nach Energiesprong-Prinzip

In den Niederlanden ist serielles Sanieren weiter verbreitet. © Energiesprong

Günstig, schnell und klimaneutral – das kennzeichnet Gebäudesanierungen nach dem Energiesprong-Prinzip. In Deutschland sind fünf Prototypen in Planung. Einen davon setzt eine kleine Baugemeinschaft in Hannover um. Dort zeigt sich, dass sich zu Beginn noch nicht alle Versprechen umsetzen lassen, die Klimaneutralität aber wichtiger ist.

Ein Wagnis geht die kleine Baugenossenschaft Oberricklingen in Hannover ein. Als einer der ersten Prototypen in Deutschland sollen vier Mehrfamilienhäuser nach dem Energiesprong-Prinzip saniert werden. „Der erste, der damit anfängt hat die Kinderkrankheiten, aber wir müssen auch die Zukunft gestalten“, erklärt Ewald Ernst, Vorsitzender der Baugenossenschaft den mutigen Schritt. Aus  den Niederlanden stammt das Energiesprong-Prinzip. Dort wurden bislang 4500 Häuser saniert, 100.000 weitere Wohneinheiten sind ausgewählt. Es beteiligen sich 30 Wohnungsbauunternehmen sowie zwölf Baufirmen und erste Start-Ups haben sich gegründet. International läuft die Marktentwicklung auch in Großbritannien, Frankreich, Italien, den USA und Kanada. In Deutschland koordiniert die Deutsche Energieagentur (Dena) seit 2017 das Konzept.

„Insbesondere die kurze Bauzeit im Vergleich zu den herkömmlichen Sanierungszeiten hat uns angesprochen, damit ist die Belastung der Mieter gering“, erklärt Ernst, der auf der Veranstaltung „Hannover Impuls“ mit der Dena in Kontakt gekommen ist. Vor einigen Jahren hat die Baugenossenschaft zwei Mehrfamilienhäuser in dem Quartier energetisch sanieren lassen, was 14 Monate in Anspruch genommen hat. Nach dem neuen Prinzip soll die Sanierung in wenigen Wochen abgeschlossen sein.

Hoher Vorfertigungsgrad sorgt für schnelle Sanierung

Der Schlüssel dazu liegt im hohen Vorfertigungsgrad der Bauteile in den Fabriken. Dort werden die Fassaden- und Dachteile passgenau hergestellt. Vor Ort werden die einzelnen Elemente, die Fenster und Anschlüsse für Zu- und Abluft beinhalten, nur noch angebracht. Dazu wird das Haus zuvor mittels 3D-Technik vermessen. In Hannover wurden mit einer Drohne erste Messdaten erfasst. Denn noch ist kein Vertrag unterschrieben. „Wir befinden uns in der Planungsphase“, sagt Ernst. Im September soll alles unter Dach und Fach sein. Mit der Sanierung wird begonnen, sobald die Bauanträge bewilligt wurden, voraussichtlich im Frühjahr 2020. Ein hoher Planungsaufwand ist für ihn mit dem Projekt verbunden, werde aber gut von der Dena bei der Verwaltung und Bearbeitung unterstützt, etwa wenn Anträge gestellt werden müssen.

Ein weiterer Aspekt, weshalb sich die Baugenossenschaft für das Projekt entschlossen hat, ist der ökologische Wert. „Das Haus erzeugt über das ganze Jahr so viel Energie wie verbraucht wird“, erklärt Ernst. Hier lautet das Stichwort klimaneutraler Null-Energiestandard. Statt mit Erdgas wird die Energie für Warmwasser, Heizung und Strom künftig mit einer Wärmepumpe und einer Photovoltaikanlage erzeugt. Wie genau die Wärme in den Häusern verteilt wird ist noch in Planung. Zudem sollen nur nachhaltige Stoffe, wie Holzfaser, für die Fassade verwendet werden. Die Co2-Einsparung soll pro Jahr 91,2 Tonnen betragen.

Innovation braucht Förderung

Die Kosten werden bei etwa 2,5 Millionen Euro liegen, schätzt Ernst. „Vier Häuser auf einmal, das ist ein großer Schlag.“ Aus seiner Sicht für das Pilotprojekt ein gerechtfertigter Preis. Der von der kleinen Baugenossenschaft nur mit Fördergeldern getragen werden kann. Zum einen gibt es für das Projekt eine KfW-Förderung, da nach der Sanierung ein Effizienzhausstandard von 55 erreicht wird.  Gelder gibt es auf europäischer Ebene von dem Interreg NWE-Programm „Mustbe0“, regional von der Leuchtturmrichtlinie und vor Ort ist eine Förderung durch Pro Klima Hannover möglich. Letztlich, ist Ernst überzeugt, werden die Kosten sinken, wenn sich mehr Wohnungsbauunternehmen für das Energiesprong-Prinzip entscheiden und Baufirmen auf die serielle Sanierung setzen.

Daran ist vor allem die Dena interessiert. Denn während die Kosten für eine Standardsanierung bei 600 bis 700 Euro pro Quadratmeter liegen, werden bei den Prototypen 1200 bis 1350 Euro pro Quadratmeter fällig. Ein hoher Startpunkt. Aber: „Der serielle Ansatz wird nach unseren Berechnungen wirtschaftlicher sein, da er einen höheren Effizienzstandard und mehr Qualität bietet als eine konventionelle Sanierung“, erklärt Nils Bormann von der Dena. Laut ihm können die Energiekosten von derzeit reinen Wärmekosten pro m² Wohnfläche (Heizung und Warmwasser) von etwa 1,10 bis 1,70 Euro im Monat im unsanierten Zustand je nach Konzept auf 0,40 Euro bis 0,60 Euro gesenkt werden. Je höher die Energiekosten vor der Sanierung lägen und je besser diese Kosten mit der Sanierung reduziert würden, desto mehr Geld stehe für den Invest zur Verfügung.

Serielle Sanierung soll Kosten senken

Damit es für die Wohnungsunternehmen rentabel ist wird auch mit Fördergeldern bei den Prototypen gearbeitet. Für die ersten Projekte konnte die Dena Förderungen in Höhe von circa 40 Prozent der Kosten akquirieren. In Baden-Württemberg beispielsweise gibt es seit Februar dieses Jahres beim Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft das Förderprogramm „Serielle Sanierung von Wohngebäuden“, das sich in erster Linie an Wohnungsunternehmen und -genossenschaften, Bauträger, Eigentümer und Investoren richtet. Anträge sind noch keine eingegangen, derzeit würden Gespräche mit Wohnungsunternehmen geführt, heißt es vom Umweltministerium.

Ein Mehrfamilienhaus in Stuttgart könnte in diesem Jahr als Prototyp umgesetzt werden. Ziel sei es rund 200 000 Quadratmeter Wohnfläche während des Förderzeitraumes von zwei Jahren seriell zu sanieren und die Industrialisierung der neuen Technologie voranzubringen. Mit bis zu 500.000 Euro werden die Projekte gefördert, wenn sie dadurch mindestens der KfW Effizienzhausstandard 70 oder durch Einzelmaßnahmen an der Außenwand beziehungsweise dem Dach das KfW 55 Niveau erreicht wird.

Erste Hersteller bieten Komponenten an

In Deutschland gibt es erste Hersteller, die für die ersten Prototypen Komponenten entwickeln. Dabei handelt es sich nicht um komplett neue Innvoationen. „Unser Ziel ist es, im Rahmen der Energiesprong-Marktentwicklung Innovationen zum Beispiel im Bereich der Anlagentechnik voranzutreiben. Gleichzeitig kommt, gerade bei den ersten Prototypen, natürlich auch bestehende und bewährte Technik zum Einsatz.“, erklärt Nils Bormann. „Es ist das Henne-Ei-Problem: Die Industrie soll innovative Ansätze und Komponenten entwickeln und benötigt dazu eine entsprechende Masse. Für die Wohnungsunternehmen gilt es, dieses Volumen für den neuen Sanierungsansatz bereit zu stellen. Hier muss also das nötige Vertrauen in neue Konzepte geschaffen und die Vorteile für die beteiligten Akteure herausgestellt werden.“ Dieses Problem soll der sogenannte Volume-Deal durchbrechen, der für November dieses Jahres von der Dena angestrebt wird. Dabei besteht parallel zur Entwicklung der Kontakt zu den Wohhnungsunternehmen. Damit werde der Industrie die Masse in Aussicht gestellt.

Das würde die Sanierungskosten für das Energiesprong-Prinzip in Deutschland senken. In den Niederlanden sind diese von 100.000 Euro auf derzeit 65.000 bis 70.000 Euro gesunken, und werden vermutlich auf 45.000 Euro runtergehen. Zu sehen ist dabei aber auch, dass in den Niederlanden hauptsächlich Einfamilienhäuser energetisch saniert werden, während es in Deutschland derzeit die Mehrfamilienhäuser sind.

500.000 Mehrfamilienhäuser sind geeignet

Laut Energiesprong sind hierzulande rund 500.000 zwei- bis vierstöckige Mehrfamilienhäuser aus den Jahren 1950 bis 1970, die noch hohe Energiekosten verursachen, für das Sanierungsprinzip geeignet. "Nach unseren Berechnungen liegt das erste potentielle Gebäudevolumen bei knapp drei Millionen Wohneinheiten. Um einen Markt für die serielle Sanierung anstoßen zu können, streben wir in den ersten Jahren die Sanierung von mindestens 5.000 Wohneinheiten aan,“ sagt Bormann. Mit 5000 bis 10.000 Wohneinheiten rechnet er in den kommenden fünf Jahren und hofft auf eine große Strahlkraft der ersten Prototypen.

„Unser Interesse muss sein, dass regionale Unternehmen eingebunden werden“, sagt Ewald Ernst, dessen Baugenossenschaft mit 25 Wohneinheiten und einer Gesamtwohnfläche von 1.504 Quadratmetern den Anfang macht. Um eine Erhöhung der Kaltmiete wird die Baugenossenschaft nicht herum kommen. Warmmietenneutral wird die Sanierung erst sein, „wenn es zu einer Umgestaltung der Verfahrensweise bei energetischen Sanierungen kommt“, sagt Ernst. Das würde auch dazu führen, dass nicht nur Mehrfamilienhäuser nach dem Energiesprong-Prinzip energetisch saniert werden. Perspektivisch gesehen möchte die Dena das Prinzip auch auf andere Gebäude anwenden. Wenn es sich etabliert hat, sind auch Einfamilienhäuser und Nichtwohngebäude möglich. von Anne Leipold

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