Bundesregierung steuert auf Konflikt mit EU zu

Definition von Niedrigstenergiegebäuden umstritten

Am Neubau des Umweltbundesamtes ruhen derzeit die Arbeiten. © UBA

Die EU will für Neubauten bald nur noch sogenannte Niedrigstenergiegebäude zulassen. Was das sein soll, hat sie in einer Richtlinie festgehalten. Die Große Koalition strebt jedoch weniger strenge Dämmvorschriften an und wird laut Umweltministerium auf Konfliktkurs gehen. Ein neues Dienstgebäude des Umweltbundesamts in Dessau soll zeigen, was möglich wäre – offenbart aber auch Kinderkrankheiten eines hohen Standards.

"Niedrigstenergiegebäude", manchmal auch "Niedrigstenergiehaus" und im Ministeriumssprachgebrauch mit "NEH" abgekürzt, ist eine Übertragung von "Nearly Zero-energy Building" ins Deutsche. Es ist schon eine Weile her, dass die EU-Richtlinie 2010/31/EU über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (EPBD) das ziemlich schwammig umschrieb als "ein Gebäude, das eine sehr hohe (...) Gesamtenergieeffizienz aufweist. Der fast bei Null liegende oder sehr geringe Energiebedarf sollte zu einem ganz wesentlichen Teil durch Energie aus erneuerbaren Quellen – einschließlich Energie aus erneuerbaren Quellen, die am Standort oder in der Nähe erzeugt wird – gedeckt werden".

Noch in einem Bericht der EU-Kommission vom Juni 2013 hieß es, die endgültige detaillierte Umsetzung dieser Definition in der Praxis werde den Mitgliedstaaten überlassen. Später hat die Kommission aber den Entwurf einer Leitlinie ("Guidance Note") nachgeschoben. Sibyl Steuwer, bis vor kurzem Forscherin an der TU Berlin und mittlerweile beim Berliner Buildings Performance Institute Europe (BPIE) aktiv, hat sich mit dieser Leitlinie im Detail befasst.

Die EU-Kommission stellt sich ungefähr ein KfW-40-Haus vor

Kurz gesagt hat die Kommission Europa in vier Klimazonen aufgeschlüsselt, und Deutschland fällt in den "kontinentalen Raum". Es gibt außerdem eine Unterscheidung zwischen Bürogebäude und Wohnhaus. "Es wird eine Spanne für den Heizenergieverbrauch angegeben und wieviel Energie durch erneuerbare Quellen gedeckt werden soll in dem Haus", berichtet Steuwer. Für ein Wohnhaus in Deutschland seien es beispielsweise 30 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr; das entspricht ungefähr dem KfW-40-Haus.

Die zeitlichen Vorgaben für das In-Kraft-Treten lassen sich mit zwei Terminen fassen. Steuwer: "Bis zum 31. Dezember 2018 sollen alle neuen Gebäude, die von Behörden als Eigentümer genutzt werden, Niedrigstenergiegebäude sein; und bis zum 31. Dezember 2020 sind es dann alle neuen Gebäude." Ein vorgelagerter Termin wäre das Festlegen der Niedrigstenergiegebäude-Definition für Deutschland bis Ende 2017 durch die Regierung gewesen, die diesen aber verstreichen ließ.

Was also will die deutsche Bundesregierung? Auch die Grünen im Bundestag wollten das wissen und hatten eine kleine Anfrage gestellt. Die zu dieser Zeit geschäftsführende Regierung verwies die Abgeordneten Ende Februar auf die "Novelle des Energieeinsparrechts für Gebäude in dieser Legislaturperiode". Die "europarechtlichen Vorgaben" würden "berücksichtigt".

Umweltministerium plant KfW-75-Standard

Eine Woche zuvor hatte sich Peter Rathert, Ministerialrat im Bundesumweltministerium, bei der Bautec-Messe in Berlin schon in bemerkenswerter Klarheit ausgedrückt: "Dann werden wir eben im Energieeinsparrecht – ob nun in einem GEG, also Gebäudeenergiegesetz, oder möglicherweise nochmal in einer kleinen EnEV-Novelle – den Standard, den wir jetzt haben als Niedrigstenergiegebäude-Standard festschreiben; und dann mal abwarten, was passiert in Brüssel: ob die dann aufschreien; ob die sagen, das dürft ihr alles nicht; ob es zur Androhung eines Vertragsverletzungsverfahrens kommt, ja oder nein."

Mit dem "Standard, den wir jetzt haben", meinte Rathert hauptsächlich den gültigen Dämmstandard der Energieeinsparverordnung (EnEV), der für ein schlichtes, freistehendes Einfamilienhaus "Effizienzhaus 75" heißt, was einem Förderungsstandard KfW-75 entsprechen würde. Rathert schob gleich hinterher: "Das wird möglicherweise nicht bis in alle Ewigkeit so bleiben, dass man nicht verschärfen will. Irgendwann müssen wir halt dann doch wieder an unseren Klimaschutzplan denken."

Steuwer: KfW-40-Standard wäre besser

Sibyl Steuwer denkt schon jetzt an den Klimaschutzplan. Selbst wenn man bei einem schwachen Erst-Definitionswert des Niedrigstenergiegebäudes anfange, müsse man "relativ schnell eine Novellierung auf die Beine stellen, weil man sonst einfach die Klimaziele für den Gebäudesektor in Deutschland nicht erreicht." Besser sei es, sich an die Empfehlung der EU-Kommission in der Leitlinie anzulehnen – also etwa den Standard eines Effizienzhauses 40 zu übernehmen. In der Praxis unterschieden sich schon jetzt sich immer mehr Bauherren dafür, auf dem Niveau von KfW-40 zu bauen.

Steuwer sagt auch: "Wir müssen irgendwann da hinkommen, dass wir einen Effizienzhaus-Plus-Gebäudestandard für Neubauten haben." Also ein Gebäude, das übers Jahr mehr Energie abgibt als aufnimmt. "Sonst wird das Ziel eines nahezu klimaneutralen Gebäudebestandes nicht erreicht werden können, denn nicht alle Bestandsgebäude können netto Nullenergiehäuser werden."

Umweltbundesamt geht mit Passivhausstandard voran

Für den Neubau seines Dienstgebäudes in Dessau will das Umweltbundesamt (UBA) den Null-Energie-Standard, also Energieaufnahme gleich -abgabe übers Jahr, erreichen. In einer Broschüre vom August 2017 war noch die Rede von einem "Plus-Energie-Gebäude"; inzwischen wird nur noch "mindestens Null-Energie-Standard" angestrebt, und der vierstöckige Bürobau soll zugleich ein "Niedrigstenergiegebäude" gemäß EPBD werden – was man als Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Ministerien interpretieren könnte.

Um mindestens den Primärenergiebedarf des UBA-Domizils zu decken, sind vor allem Solarmodule auf dem Dach und an der Fassade vorgesehen. Der Bau soll Passivhausstandard erreichen und dereinst bei 32,8 Kilowattstunden pro Quadratmeter Nutzfläche und Jahr liegen, was durch dicke Dämmung und Dreischeibenverglasung der Fenster erreicht werden soll.

Laut Broschüre sollten die Mitarbeiter eigentlich im März 2018 einziehen; inzwischen ist auf der Website des UBA die Rede von "Mai 2018". Aber auch das ist mehr Hoffnung als Gewissheit, denn seit rund drei Wochen stehen die Bauarbeiten still, und Wolfgang Schöning von Anderhalten Architekten, der das Gebäude entworfen hat, hält auch ein halbes Jahr Verzögerung für möglich. Die Behörde hat wegen einer unvollständig ausgeführten Dämmung an den Fenstern der zum Teil gekrümmten Fassade einen Baustopp verfügt.

Die ausführende Firma habe trotz eindeutiger Dokumentation im Leistungsverzeichnis und in der Detailplanung nicht bedacht, "dass man da nicht die Dämmung orthogonal schneiden kann, sondern dass man dazwischen einen Luftraum hat. Da ist eine Spalte. Und die Spalte ist so elf Zentimeter." Dazwischen müsse gedämmt werden, "da hätten wir sonst eine super Wärmebrücke in dem Bereich". Die Firma müsste Mineralwolle nachstopfen. Doch sie weigert sich. "Die hat am Montag ihren Kran abgeholt."

Dieses Problem hängt direkt mit dem Passivhaus-Standard zusammen. Wolfgang Schöning: "Der Anspruch an ein Passivhaus ist so hoch, dass jede Lücke geschlossen werden muss. Wenn wir diesen Anspruch nicht hätten – auf einer normalen Baustelle würde man sagen, lassen wir es so, das interessiert keinen." Wollte man es positiv sehen, könnte man sagen: Das Umweltbundesamt sammelt Erfahrungen, die die Bauherren der späteren Niedrigstenergiegebäude nicht mehr machen müssen. von Alexander Morhart

Eine Verwendung dieses Textes ist kostenpflichtig. Eine Lizenzierung ist möglich.
Bitte nehmen Sie bei Fragen Kontakt auf.