Quelle: DEUTSCHE ROCKWOOL

Zirkuläres Bauen

Wegwerfen war gestern

Concular-Mitarbeiter bei der Bestandserfassung im Neckarpark-Stadion. Foto: Concular/Thomas Jones

Annabelle von Reutern, Leiterin Unternehmensentwicklung bei Concular. Foto: Concular

Sean Nolan, Leiter Geschäftsfeldentwicklung bei Concular. Foto: Concular

Ob gebrauchte Geländer, Türen, Leuchten, Trennwände oder Fenster – beim Rückbau eines Gebäudes für Einnahmen statt für Beseitigungskosten zu sorgen, ist der Job des Start-ups Concular. Der Bestand einer Immobilie wird digitalisiert und zum Wiederverkauf angeboten. Kreislaufwirtschaft statt Entsorgung.

Finden statt suchen: Concular hat ein Portal entwickelt, auf dem Angebot und Nachfrage zusammengeführt werden. In der Datenbank ist das gesamte Angebot sofort abrufbar – und das, bevor es überhaupt aus der Immobilie ausgebaut wurde. Interessierte werden rechtzeitig detailtief informiert, geliefert wird dann direkt vom Ausbau auf die nächste Baustelle. Das reduziert Lager- und Transportkosten.

Vor drei Jahren in Stuttgart gestartet, sorgen neben den drei Gründern mittlerweile 35 Mitarbeiter für einen reibungslosen Ablauf. Über 250 abgerissene oder sanierte Gebäude sind es bis jetzt. Nach eigenen Angaben sind das 20.000 Tonnen an Materialien, Gebäudeelementen und Einrichtungsbestandteilen, die einer Wiederverwendung – nicht: Wiederverwertung – zugeführt wurden. Was zu einer Einsparung von 2.500 Tonnen CO2 beigetragen hat.

Im Interview sprechen Annabelle von Reutern, Leiterin Unternehmensentwicklung und Sean Nolan, Leiter Geschäftsfeldentwicklung in Berlin, dem zweiten Standort von Concular, über ihre Arbeit.

Herr Nolan, Sie bieten für Gebäudebesitzer und andere Kunden mit Rückbau-Absichten als ersten Schritt eine kostenlose Vorprüfung an, genannt „Circularity Check“. Wie läuft das ab?

Nolan: Wir prüfen anhand von Unterlagen, die uns der Kunde zur Verfügung stellt: Lohnt sich das Ganze oder nicht? Es kann manchmal sein, es gibt bei dem Gebäude gar kein Potenzial, um daraus Materialien zu retten, weil die Schadstoffbelastung sehr hoch ist; weil die Materialien nicht in gutem Zustand sind; weil das Gebäude besonders alt ist. Wenn wir ausreichend Potenzial sehen, fahren wir hin und machen eine Erstbesichtigung. Wir schauen, ob die Qualität der Materialien entsprechend ist. Auf dieser Basis geben wir eine Schätzung ab, wieviel Aufwand eine Bestandserfassung des Gebäudes, das „Circularity Assessment“, erfordern würde.

Sie haben im Vorgespräch als groben Richtwert für die Mindestgröße eines Objekts 3.000 Quadratmeter Bruttogrundfläche genannt. Ist eine Anfrage bei 2.000 oder 1.500 Quadratmetern dann überhaupt sinnvoll?

Von Reutern: Wenn das Gebäude randvoll ist mit hochwertigen Baustoffen, die schadstofffrei sind, die gut rückbaufähig sind, dann doch. Wenn Sie uns sagen, ich habe hier das und das, das hat nur 1.500 Quadratmeter, fahren wir nicht raus, aber dann hätte ich gern ein paar Fotos und ein Schadstoff-Gutachten; dann kann ich es beurteilen. Wir haben auch schon kleinere Flächen gemacht, wenn die eben eine sehr hochwertige Ausstattung hatten.

Erst wenn sich der Kunde für eine Bestandserfassung entscheidet, bekommen Sie ab diesem zweiten Schritt für Ihre Dienstleistungen Geld – die Voraussetzung für eine Rentabilität Ihres Geschäftsmodells.

Von Reutern: Das Geld kommt unter anderem von dem, was wir jetzt schon machen – sprich: Bestandserfassung, Materialverkäufe und Vermittlung von Bauteilen. Wir haben zusätzlich Investoren, aber eher für das digitale Produkt, also das ganze Thema Zirkularitätsbewertung, Ökobilanz und so weiter. Fördermittel haben wir auch, von Bund und Ländern, und auch für Forschungsprojekte. Wir sind in Teilbereichen unserer Leistung schon rentabel, aber nicht komplett über den gesamten Produktzyklus. Es ist eine Mischkalkulation.

Wonach richtet sich die Preisgestaltung für Ihr Angebot?

Von Reutern: Der Haupt-Preistreiber sind die Rückbaukosten – weil das Arbeitskräfte sind, die das machen, und die sind in unserem Land am teuersten. Das bestimmt mehr oder weniger die Preise, die wir aufrufen können.

Den Rückbau machen Sie nicht selbst, oder?

Von Reutern: Nein, den machen wir mit den Rückbauunternehmen, die es schon am Markt gibt. Wir haben mittlerweile schon viele Projekte gemacht und haben da gewisse Richtwerte, mit denen wir in die Vertragsverhandlungen reingehen.

Inwiefern entschärft Ihr Konzept das „klassische“ Problem einer teuren Zwischenlagerung?

Nolan: Wir digitalisieren ein Gebäude mindestens ungefähr ein Jahr bis sechs Monate, bevor das Gebäude zurückgebaut wird, und haben dann sehr viel Vorlaufzeit, diese ganzen Materialien zu vermitteln, so dass mit diesen Daten in einem Zeitraum von ein bis zwei Wochen, während der Rückbau stattfindet, die Käufer ihr Material erhalten. Wir sehen das Gebäude, was schon existiert, als Lager der Materialien, während wir das Material verkaufen. Je mehr Gebäude wir digitalisiert und je mehr Material wir im Angebot haben, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir Angebot und Nachfrage „matchen“ können.

Von Reutern: Nichtsdestotrotz ist es bei uns auch so, dass teilweise Materialien zwischengelagert werden; entweder auf der Baustelle selbst oder auf der zukünftigen Baustelle – oder eben beim Hersteller, wo sie nochmal umgerüstet, aufbereitet werden. Es gibt aber auch Fälle, da werden sie wirklich eins zu eins von einer Baustelle zur nächsten gebracht.

Es kann aber auch mit Zwischenlagerung sehr schnell gehen, wie bei Ihrem Projekt im VfB-Neckarpark-Stadion, der Mercedes-Benz-Arena.

Von Reutern: Da haben wir eine Bestandserfassung von diesen 10.000 Quadratmetern Veranstaltungs- und Businessbereich der Haupttribüne durchgeführt, die jetzt für die EM 2024 umgestaltet wurden, und die Materialien über unsere Plattform verkauft. In dem Fall haben wir alles in eingebautem Zustand verkauft; und dann gab es Abholungstermine für die Käufer*innen. Das wurde auf dem Grundstück zwischengelagert bis zur Abholung – aber das lag da vielleicht eine Woche oder so. (...) Nachdem wir raus waren mit den verkauften Bauteilen, ist der konventionelle Rückbau durchgeführt worden.

Wieviel Gewinn hat der VfB unter dem Strich damit gemacht?

Von Reutern: Es waren alle zufrieden.

Ihr Versprechen ist es, jedes einzelne Produkt von einem erfahrenen Team geprüft und auf seine Kreislaufqualität hin unter untersucht zu haben. Wenn diese Angaben mal nicht stimmen sollten – geben Sie dann eine Gewährleistung?

Von Reutern: Das passiert einfach nicht. Wir arbeiten unter anderem mit Herstellern, die die Produkte selber ausbauen, selber aufbereiten und die Gewährleistung für die Materialien übernehmen; oder, dass man das mit Prüfinstituten macht oder mit Firmen, die die Materialien aufbereiten, umrüsten auf LED, bei Leuchten. Dann läuft das mit denen ab. In Deutschland will sich keiner was ausbauen, was keine Gewährleistung hat, obwohl es von einer sehr guten Qualität ist. Wir sind Initiatoren, die dieses Thema platzieren wollen. Aber es wird nur funktionieren, wenn wir DIN-Normen entschärfen; wenn wir Abrisse nicht mehr so leicht umsetzbar machen, sondern wirklich nur mit einer Genehmigung; wenn in den Ausschreibungen für Neubauten „Re-Use“-Material explizit gefordert wird – und die Bauunternehmen so in die Lage versetzt werden, wiedergewonnenes Material einzubauen.

Sie geben an, Ihr System sei kompatibel mit einer Zertifizierung nach DGNB V23 und BREEAM. Warum ist das wichtig?

Nolan: Der Grund, wie wir die etablierte Bau- und Immobilienwirtschaft überhaupt dazu bekommen, sich wirklich mit dem Thema zu beschäftigen, ist für eine Nachhaltigkeitszertifizierung, für Reportings und so weiter, und da ist die Gebäudezertifizierung unter anderem mit DGNB und BREEAM ganz entscheidend. Für die Zertifizierungsstellen ist es wichtig, dass unsere Leistung, die wir anbieten – ob das der Gebäuderessourcenpass ist oder die Gestaltung des zirkulären Rückbaus –, dass die messbare CO2-Einsparung, die man damit hat, in Nachhaltigkeits-Reportings abgebildet werden kann.

Prominente Projekte

Wenn die Concular-Leute rechtzeitig von einem Vorhaben erfahren, kann das Material so früh erfasst, geprüft und auf dem Online-Marktplatz eingestellt werden, dass das Gebäude in den Wochen vor Abriss oder Sanierung gewissermaßen leergekauft werden kann. So geschehen beispielsweise bei einem zehn Jahre alten Hotel in Lübeck, wo aus 96 Zimmern Betten, Leuchten, Vorhänge und weiteres Mobiliar verkauft werden konnte. Als weitere Objekte listet Concular zum Beispiel ein ehemaliges Karstadt-Gebäude in Berlin mit 40.000 Quadratmetern Fläche, ein Siemens-Tagungszentrum am Starnberger See und die Haupttribüne des VfB-Neckarpark-Stadions („Mercedes-Benz-Arena“) auf. Neben bildlichen und schriftlichen Informationen über das Material an sich, tragen eine Materialprüfung und zertifizierte Ökobilanzierung, in Eigenregie oder durch Dritte, zum Erfolg von Concular bei. Das kann Gebäudebetreiber und -besitzer zur Nutzung motivieren und soll perspektivisch, so das Unternehmen, bei breiter Anwendung im Bausektor bis zu 20 Prozent des globalen CO2 -Ausstoßes und 30 Prozent des Ressourcenverbrauchs einsparen helfen.

Alexander Morhart

Eine Verwendung dieses Textes ist kostenpflichtig. Eine Lizenzierung ist möglich.
Bitte nehmen Sie bei Fragen Kontakt auf.