In den Denkmodellen der Block-Chainer kann ein Verbraucher alle paar Minuten Strom von einem anderen Lieferanten beziehen - je nachdem, wer gerade das günstigste Angebot macht. Praktisch umgesetzt wurde ein solcher Handel mit elektrischer Energie bereits in mehreren kleinen Versuchsprojekten in den Niederlanden, in den USA und auch in Deutschland. Hierzulande gibt es unter anderem Bestrebungen bei den Energieversorgern Innogy (RWE), Vattenfall und MVV Energie; Siemens ist in den USA aktiv.
Das technologische Prinzip eines "Blockchain" genannten digitalen Buchhaltungsjournals wird für Geld-Transaktionen schon seit 2009 genutzt, nämlich für die digitale Währung Bitcoin. Während jedoch das Bitcoin-System nur für das Überweisen von Währungseinheiten ausgelegt ist, funktioniert eine 2015 ersonnene Variante "Etherium" mit beliebigen Objekten - zum Beispiel auch mit Energie, solange das Stromnetz, das Internet und die ausführenden Computer bereits vorhanden sind.
So funktioniert Energiehandel mit Blockchains
Das hört sich zunächst einfach an, erfordert aber in der Praxis doch ein ziemlich kompliziertes Verfahren. Denn zur Dokumentation muss laufend das aktualisierte Buchhaltungsjournal, das alle bisherigen Geschäftsvorfälle enthält, dezentral bei einem Teil der Nutzer abgespeichert werden. Um eine denkbare allgemein verfügbare Blockchain für den Stromhandel - die es bisher nicht gibt - nutzen zu können, müsste ein Stromnachfrager erst einmal bei einer Wechselstuben-Plattform mit Eurogeld den nötigen Betrag der internen Verrechnungseinheit "Ether" eintauschen. Dann müsste er ein Programm, "Wallet" genannt, für den Zugang zur Blockchain auf seinem Rechner installieren. Damit lässt er ein Passwort aus mehreren Dutzend Zeichen ("privater Schlüssel") registrieren und kann nun Voraussetzungen für das Auslösen einer Transaktion eingeben.
Er kann diese in Wenn-dann-Form eingeben, die das System mit Hilfe von Javascript digital handhabbar macht. Diese Bedingungen können ziemlich anspruchsvoll definiert werden, etwa: "Wenn Anbieter A Solarstrom in den kommenden zwei Stunden für unter 9 Cent pro Kilowattstunde anbietet, will ich in dieser Zeit 2 Kilowattstunden Strom von ihm beziehen; sonst von Anbieter B für unter 12 Cent; sonst von Anbieter C."
Das so definierte Transaktionsangebot sendet das Wallet per Internet an alle anderen Wallets. Dadurch wird der Abschluss eines elektronischen Vertrags zwischen dem Stromnachfrager und zum Beispiel dem Betreiber einer Photovoltaikanlage eingeleitet.
Sind die privaten Schlüssel der beiden Handelspartner festgelegt, werden in einer darauf spezialisierten Rechnerfarm ("Miner") alle bisherigen Transaktionen des Stromnachfragers aus der Blockchain herausgesucht. Wenn der daraus ermittelte Saldo für das Bezahlen des Stroms ausreicht, prüft der Miner den letzten "Block", also gewissermaßen die letzte Seite des Buchhaltungsjournals, auf Korrektheit. Im positiven Fall erzeugt er einen neuen Block, der eine Art Prüfnummer der Vorgängerseite enthält sowie alle seit dem letzten Block im System aufgelaufenen Transaktionsvorschläge, einschließlich der gewünschten Stromlieferung.
Mathematisches Rätsel sichert das Verfahren
Schließlich muss der Miner schneller als die konkurrierenden Miner ein mathematisches Rätsel lösen, in das Daten des neuen Blocks einbezogen werden. Schafft er das, dann werden ab da alle anderen Netzwerkteilnehmer die Blockchain einschließlich der neuen Seite als korrekt anerkennen.
Durch die Prüfnummern sind alle aufeinander folgenden Journalseiten jeweils miteinander verbunden, so dass kein Inhalt einer einzelnen Seite nachträglich verändert werden kann, ohne dass es auffällt. Wenn das Wallet des Solarstromanbieters die Information über die aktualisierte Blockchain, die die neue Seite bereits enthält, bekommt, kann es einen Befehl an die Steuerungselektronik geben, um die Photovoltaikanlage für den vereinbarten Zeitraum Strom ins öffentliche Netz einspeisen zu lassen - aus dem es der Stromnachfrager gleichzeitig entnimmt.
Anhänger der Blockchain-Technologie sehen ein Zeitalter heraufziehen, in dem große Stromversorger nach und nach überflüssig werden und Kosten für den Handel mit Strom und Wärme eingespart werden. Es gibt jedoch viele offene Fragen. Wie werden den Nutzern die Kosten für das öffentliche Netz angelastet? Wer übernimmt die Verantwortung für eine durchgehende, zuverlässige Versorgung? Welche Versicherung ist bereit, Verträge in einem System finanziell abzusichern, bei denen die Vertragspartner über private Schlüssel pseudonymisiert sind?
Das System muss schneller und effizienter werden
Hinzu kommt, dass moderne Steuerungen für Photovoltaik und Stromspeicher in einer Größenordnung von Millisekunden messen und steuern. Die Zeit für das Erstellen eines neuen Etherium-Blocks beträgt dagegen durchschnittlich 10 Sekunden - nach Expertenmeinung wäre das viel zu träge.
Ein weiteres Problem ist der Strombedarf der Rechnerfarmen für das Mining. Tobias Federico, einer der beiden Geschäftsführer der Beratungsfirma Energy Brainpool, bezifferte bei einer Tagung vor kurzem die auf eine Transaktion entfallende Strommenge mit 8 Kilowattstunden. Das heißt, in dem fiktiven Beispiel einer Haushaltsstromlieferung über zwei Stunden könnte der Bedarf für eine Blockchain durchaus viermal höher liegen als die mit dieser Transaktion gehandelte Energiemenge.
Sowohl das Problem der Trägheit als auch das des zu hohen Energieverbrauchs könnte eine Abwandlung beheben, bei der die Blockchain nicht mehr öffentlich, sondern nur noch für bestimmte Teilnehmer ("Konsortium-Blockchain") zugänglich ist oder gleich innerhalb eines Unternehmens läuft ("Enterprise-" oder "private" Blockchain). Ein Beispiel für Letzteres ist das Projekt "Brooklyn Microgrid" in New York, bei dem seit April 2016 zehn Gebäude Solarstrom austauschen. Fachleute schätzen, dass es noch zwei bis fünf Jahre dauern wird, bis mit Blockchains in größerem Maßstab Energie gehandelt werden wird. Von Alexander Morhart