„In diesem Jahr kommt es entscheidend darauf an, Absichtserklärungen in konkrete Gesetze zu gießen. Wesentliche Weichen für die Zukunft werden 2023 gestellt. Der Markthochlauf für Wasserstoff muss endlich verbindlich manifestiert werden. Wirtschaft und Wissenschaft brauchen eine verbindliche Basis, um zu investieren und zu forschen. Die Idee einer sogenannten All-Electric-World gehört ins Reich der Fantasie, ebenso ist ein Rückbau der Gasinfrastruktur keine Lösung. Vielmehr geht es darum, Leitungen und Anlagen durch Umstellung H2-ready zu machen. Annahmen, die nicht wissenschaftlich evaluiert sind, sondern auf ideologischen Vorstellungen basieren, helfen nicht weiter, um die Klimaschutzziele zu erreichen“, erklärte Prof. Dr. Gerald Linke, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW) bei der Jahresauftakt-Pressekonferenz am 24. Januar in Berlin.
Leitfaden Kommunale Wärmeplanung
Insbesondere im Wärmemarkt zeigen sich für den Einsatz von klimaneutralen Gasen und Wasserstoff große Potenziale. Nirgendwo sonst ist das Einsparpotenzial von klimaschädlichen Gasen so groß wie beim Heizen. Rund 40 Millionen Haushalte emittieren mehr als 200 Millionen Tonnen Kohlendioxid, das sind rund 20 Prozent aller CO2-Emissionen in Deutschland. Der DVGW setzt hier mit einem Leitfaden für kommunale Wärmeplanung an, der gemeinsam mit dem Energieeffizienzverband für Wärme, Kälte und KWK e.V. (AGFW) entwickelt worden ist. Dieser gibt praxisnahe Orientierung, hilft den 11.000 Gemeinden bundesweit bei der Erstellung eines Wärmeplans und den folgenden Schritten auf dem Weg in eine klimaneutrale Energiezukunft und ist ein zentraler Baustein der Energiewende vor Ort.
H2-Kompetenzverbund der deutschen Energiewirtschaft
Der Grundsatz von Technologieoffenheit auf technisch-wissenschaftlichem Fundament, gepaart mit volkswirtschaftlichem Augenmaß, ist nach Auffassung des DVGW der entscheidende Ansatz, die Energiewende erfolgreich und finanzierbar umzusetzen. In diesem Zusammenhang ist auch der H2-Kompetenzverbund der deutschen Energiewirtschaft zu sehen, der zusammen mit vier Forschungsinstituten gegründet worden ist und dessen Kuratorium namhafte Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft gewonnen hat. Ziel des Forschungsverbunds ist es, Wasserstoff-Kompetenzen in Deutschland zu bündeln und Wasserstofftechnologien durch anwendungsorientierte Forschung schnell zur Marktreife zu führen. Der Weg für einen Hochlauf – insbesondere in den Gebieten der klassischen leitungsgebundenen Energieversorgung – soll so geebnet werden.
H2-Normungsroadmap
Gestützt wird die zentrale Rolle des DVGW auf dem Weg in eine Wasserstoffwirtschaft durch die sogenannte H2-Normungsroadmap. Über das zuständige Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat die Bundesregierung den DVGW zusammen mit dem Deutschen Institut für Normung (DIN) und den Projektpartnern DKE, NWB, VDI und VDMA beauftragt, das Normen- und Regelwerk für Wasserstofftechnologien weiterzuentwickeln. Diese Roadmap wird die technische Grundlage dafür schaffen, dass der Wasserstoffhochlauf in Deutschland und damit die Energiewende gelingt. Zusammen mit den Fachexpertinnen und Fachexperten wird das Projektkonsortium unter Leitung von DVGW und DIN einen strategischen Fahrplan entwickeln und für eine schnelle, gezielte Erweiterung und Anpassung des technischen Regelwerks im Bereich der Wasserstofftechnologien umsetzen. Das Projekt ist zum 1. Januar 2023 vom BMWK bewilligt worden. Für den DVGW – seit Jahrzehnten zuständig für die Regelsetzung beim Erdgas – ist diese Entscheidung ein Meilenstein in der Verbandsgeschichte.
Resilienz der Wasserversorgung
Wasserseitig rückt in Zeiten des Klimawandels die Resilienz der Wasserversorgung in den Fokus der öffentlichen Betrachtung. Unter dem Einfluss von Hitze und Trockenheit nimmt der Anpassungsdruck zu, Infrastruktursysteme zu ertüchtigen und – wo notwendig – auszubauen. „Mit der Wasserversorgung ist es wie mit der Gasversorgung: Solange Trinkwasser fließt, macht sich niemand Gedanken darüber. Wir müssen das Bewusstsein für den Wert des Wassers, unseres wichtigsten Lebensmittels, nachhaltig stärken. Es reicht nicht aus, wenn nur in heißen Sommermonaten für diese Thematik sensibilisiert wird. Vor dem Hintergrund deutlicher Klimaveränderungen und Risiken für die Daseinsvorsorge ist es nicht selbstverständlich, dass auch in einem hoch entwickelten Industrieland wie Deutschland Trinkwasser dauerhaft, jederzeit und überall in hervorragender Qualität verfügbar ist“, sagte Dr. Wolf Merkel, Vorstand Wasser beim DVGW.
Ein zentraler Aspekt in diesem Kontext ist der Vorrang der öffentlichen Wasserversorgung. Diesen auch in Zukunft vor dem Hintergrund der Nutzungsinteressen anderer Gruppen zu gewährleisten, stellt unsere Gesellschaft und insbesondere die Versorgungsunternehmen vor langfristige Herausforderungen. So muss die Wasserinfrastruktur in einem ständigen Prozess laufend auf die Anforderungen der Zukunft angepasst werden. Erschwert wird dies durch zunehmenden Flächenverbrauch zulasten von Schutzgebieten oder Schadstoffeinträge, etwa durch ungebremsten Medikamentengebrauch, Pflanzenschutz- und Düngemitteleinsatz, was wiederum zu einer steigenden Belastung des Trinkwassersystems führt.
Risikovorsorge und Cybersicherheit
Als Bestandteil der Kritischen Infrastruktur ist die Wasserversorgung nicht nur möglichen physischen Angriffen ausgesetzt, auch Cyberattacken stellen eine Gefahr dar. Durch seine Mitarbeit in KRITIS-Arbeitsgruppen begleitet der DVGW Gesetzesinitiativen auf EU-Ebene und trifft so Vorsorge zur Steigerung der Informationssicherheit der Branche. Konkrete Hilfestellung zur Notversorgung, Kompensation von Stromausfallszenarien, zum Anlagenschutz und zur Anlagensicherheit, insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen, vermittelt ein Leitfaden zur IT-Sicherheit, der zusammen mit der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft (DWA) erarbeitet worden ist.
Novellierung der deutschen Trinkwasserverordnung
Die für dieses Jahr in Aussicht gestellte Novellierung und Inkraftsetzung der Trinkwasserverordnung hat für den DVGW als Regelsetzer für das Wasserfach eine herausragende Bedeutung. Sie war und ist die Grundlage dafür, dass das Trinkwasser in Deutschland zu den weltweit besten zählt. Erstmals seit 20 Jahren tritt im Frühjahr eine komplett überarbeitete Fassung in Kraft, die in vielen Punkten den Anforderungen an ein modernes Trinkwassermanagement gerecht wird. Der DVGW hat mithilfe von wissenschaftlichen Studien zum Beispiel zu Regulierungsoptionen von PFAS richtungsweisende Impulse für die Überarbeitung gegeben.
Nationale Wasserstrategie
Der DVGW begrüßt die Entscheidung der Bundesregierung, mit der Nationalen Wasserstrategie auf die drängenden Probleme der Wasserversorgung unserer Zeit zu reagieren. Positiv ist der deutliche Wille zum ressortübergreifenden Handeln in überregionaler Initiative, statt auf einzelne Impulse aus der EU zu reagieren. Jetzt muss es darum gehen, die Aktionsprogramme der Bundesregierung in den kommenden Jahren aktiv zu unterstützen. Der DVGW kann mit den Ergebnissen aus dem Zukunftsprogramm Wasser konkrete Lösungsvorschläge anbieten.
Vision einer wasserbewussten Gesellschaft für das Jahr 2100
Neben Klimawandel und einer alternden Infrastruktur wirken sich auch demografische, politische und gesellschaftliche Veränderungen auf den Wasserkreislauf und auf zukünftige Wasserdargebote und -bedarfe aus. Verfügbare Mengen und Qualitäten unterschiedlicher Wasserressourcen verändern sich – und damit auch die Anforderungen an den Betrieb sowie die notwendigen Anpassungen und Erweiterungen der Infrastrukturen. Um rechtzeitig Maßnahmen für alle beteiligten Akteure ableiten zu können, hat sich eine Gruppe von Fachleuten der Wasserwirtschaft unter gemeinsamer Federführung von DVGW und der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft (DWA) mit Trends, Herausforderungen und möglichen Störungen im Wasserkreislauf auseinandergesetzt. Daraus ist die „Vision einer wasserbewussten Gesellschaft für das Jahr 2100“ abgeleitet worden. Sie beschreibt den ambitionierten Anspruch für ein umweltfreundliches, sozialverträgliches und nutzungsorientiertes Handeln, auf das sich die Anstrengungen der Wasserwirtschaft in Zusammenarbeit mit Kommunen, Ländern und dem Bund sowie mit allen gesellschaftlichen Akteuren ausrichten müssen.
Die Vision stellt hohe Ansprüche an den Gesetzgeber, damit er den vorsorgenden Gewässerschutz durch Stoffverbote, Herstellerverantwortung und Anwendungsbegrenzungen ernst nimmt. Die wasserwirtschaftliche Infrastruktur – Talsperren, Brunnen, Wasserwerke, Leitungsnetze, Speicherbehälter – muss, den Anforderungen des Klimawandels folgend, weiter ausgebaut, die bestehende in einem guten Zustand erhalten werden. Die Vision 2100 ist im Rahmen des DVGW-Zukunftsprogramms Wasser erarbeitet worden. Eine Veröffentlichung durch DVGW und DWA ist für das erste Quartal 2023 vorgesehen.