Eine alarmierende Botschaft: Die Sanierungszyklen in Deutschland sind deutlich länger als bislang angenommen. Sie betragen 75 statt 55 Jahre. Zu diesem Ergebnis kommt der Wärmemonitor Deutschland 2014, den das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und die Ista Deutschland veröffentlicht haben. Die Erhebung ist 2014 erstmals rückblickend für zehn Jahre erschienen und wird im Jahresrhythmus aktualisiert.
Basis der Aussagen seien "statistische Schätzungen auf der Grundlage von Informationen aus Energieausweisen", so DIW-Energieexperte Claus Michelsen. Diese deuteten darauf hin, dass ein vollständiger Sanierungszyklus in Mehrfamilienhäusern in Westdeutschland ungefähr 75 Jahre dauere. Ingenieurwissenschaftliche Studien seien bisher von Sanierungszyklen von etwa 55 Jahren ausgegangen. Sie folgten den jeweiligen Bauzyklen und verliefen regional unterschiedlich, so die Studie. In den von der Ista ausgestellten verbrauchsbasierten Energieausweisen finden sich Angaben über das Gebäudebaujahr und den Zeitraum der letzten Sanierung von Dach, Fassade, Fenster, Kellerdecke und Heizungsanlage. Basierend auf diesen Angaben hat die Studie abhängig vom Gebäudealter die Wahrscheinlichkeit einer Sanierung ermittelt. Die Datenbasis sei statistisch ausreichend, um solche Aussagen zu treffen.
Die deutlich längeren Zeiträume würden das Ziel der EU, für den Gebäudebestand eine Sanierungsquote von 2 Prozent zu erreichen, in Frage stellen. Im Hinblick auf die langen Sanierungszyklen werde es umso wichtiger, bereits heute bei anstehenden Sanierungen die vorhandenen Potenziale zur Steigerung der Energieeffizienz auszunutzen, so die Schlussfolgerung aus den Zahlen. Danach sieht es zumindest bei Heizungen nicht aus. Derzeit erleben auch Niedertemperaturkessel für Öl und Gas beim Heizungstausch eine Renaissance, so unlängst vorgelegte Marktzahlen des BDH. Erneuerbare Energien verlieren an Relevanz.
Gering investive Maßnahmen erschließen weitere Potentiale
Zudem müssten in bereits sanierten Gebäuden durch geringinvestive Maßnahmen weitere Potenziale erschlossen werden, so die Studie weiter. Beispielsweise zeigten Ergebnisse von Pilotprojekten, dass die umfassende unterjährige Information der Verbraucher über Heizkosten und Energieverbrauch einen wichtigen und kostengünstigen Beitrag für das Erreichen der von der Bundesregierung angestrebten Klimaschutzziele leisten könne.
Gleichzeitig stellt der Wärmemonitor einen sinkenden Energiebedarf fest. Im Jahr 2014 ist der Heizenergiebedarf in Mehrfamilienhäusern in Deutschland um 2,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken. Dies entspricht etwa 3,4 Kilowattstunden pro Quadratmeter Wohnfläche. Grundlage dieser Einschätzung ist der gemessene Energieverbrauch in rund 300.000 Mehrfamilienhäusern in Deutschland. Der Heizenergiebedarf ist der um witterungsbedingte und klimatische Einflüsse bereinigte Heizenergieverbrauch; die Auswirkungen des milden Winters sind also bereits berücksichtigt.
Damit bestätige sich der Trend sinkenden Heizenergiebedarfs, wobei die Dynamik insbesondere von der Entwicklung in den westlichen Bundesländern getrieben werde, so die Studie. Aufgrund der niedrigen Energiepreise sind auch die Heizkosten erheblich gesunken: deutschlandweit von 11,14 auf 9,85 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. Das sind 12 Prozent weniger als 2013. Eine Erhebung von CO2 Online und Mieterbund spricht von einem Minus in Höhe von 10 Prozent.
"Der Wärmemonitor 2014 zeigt zwar deutliche Fortschritte beim Energiebedarf, gemessen an den politischen Zielen der Bundesregierung dürften sie jedoch nach wie vor nicht ausreichen", sagt Michelsen. Um die energie- und klimapolitischen Ziele der Bundesregierung zu erreichen, müssen im Bereich der Raumwärme große Energieeinsparungen erzielt werden, die auf lange Sicht eine umfassende energetische Erneuerung des gesamten Gebäudebestandes erforderlich machen. "Ergänzend können geringinvestive Effizienzmaßnahmen in Wohnimmobilien, wie zum Beispiel die gezielte unterjährige Information von Verbrauchern über ihre Energieverbräuche und die damit verbundenen Kosten, erheblich zum Erreichen der Klimaschutzziele beitragen", meint Walter Schmidt, Chef der Ista.
Kontinuierliche Information der Verbraucher erhöht Einspareffekte
Das ist nicht nur die Meinung des Messdienstanbieters, der ein neues Geschäftsfeld sieht. Auch eine Studie von CO2 Online kommt zum Ergebnis, dass die kontinuierliche Rückkoppelung von Informationen an die Verbraucher hilfreich sein könnte, um den Energieverbrauch zu senken.
Insgesamt entwickle sich der Wohnungsbau in dem derzeit günstigen Umfeld von steigender Nachfrage, niedrigen Zinsen, guten Arbeitsmarktaussichten und anhaltender Zuwanderung positiv, insbesondere in den urbanen Zentren, so der Wärmemonitor. Damit stieg im vergangenen Jahr auch das Volumen der Modernisierungen und energetischen Sanierungen des Gebäudebestands. Aufgrund der dynamischen Entwicklung vor allem in Westdeutschland haben die alten Länder kräftig gegenüber dem bereits in der Nachwendezeit umfassend sanierten Wohnungsbestand in Ostdeutschland aufgeholt: Während im Jahr 2003 der durchschnittliche Energiebedarf in Westdeutschland mit 152 Kilowattstunden (kWh) pro Quadratmeter Wohnfläche deutlich höher war als mit 133 kWh in Ostdeutschland, kann für die abgelaufene Heizperiode mit 0,5 kWh kaum noch ein Unterschied festgestellt werden (West 2014: 121 kWh, Ost 2014: 120,5 kWh).
Auch in anderen Regionen nivellieren sich die Unterschiede beim Energiebedarf. Einige Regionen in Bayern und Baden-Württemberg haben bereits mit Regionen in Ostdeutschland gleichgezogen. Grundsätzlich ist der Energiebedarf im Nordwesten Deutschlands deutlich höher als im Süden. von Pia Grund-Ludwig