Fokus verschiebt sich von Dämmung zu Erneuerbaren

Verbände: Bund und Länder brechen Versprechen beim Wohnungsbau

Ingeborg Esser (GdW) forderte „Paradigmenwechsel“ bei der EnEV. © A. Morhart

Der "Fakten-Check zum 10-Punkte-Programm" von Bundesbauministerin Hendricks des "Verbändebündnisses Wohnungsbau" geriet zur Abrechnung.

Der "Fakten-Check zum 10-Punkte-Programm" von Bundesbauministerin Hendricks des "Verbändebündnisses Wohnungsbau" geriet zur Abrechnung. Mit einer Ampelfarbe für jeden der 10 Punkte bewerteten fünf Verbände der Bau- und Wohnungswirtschaft, die Industriegewerkschaft Bau und der Deutsche Mieterbund die Umsetzung dessen, was die Ministerin im November 2015 angekündigt hatte. Bei 7 Punkten ließen sie gelbes Licht leuchten, bei 3 sogar rotes. Grünes Licht kam bei der Pressekonferenz in Berlin gar nicht vor. Aus Sicht des lockeren Verbändebündnisses also "viel versprochen, wenig gehalten".
Punkt 9 von Hendricks’ Programm sieht das Zusammenführen von EnEV und Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz mit neuer Konzeption vor. Ingeborg Esser als Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) forderte einen "Paradigmenwechsel": "(...) dass wir wegkommen (...) von dem Primärenergieziel, hin zu einem Endenergieziel, dass wir CO2-Emissionen klar in den Zielfokus nehmen und (...) den Quartiersbezug aufnehmen".

Warum der Primärenergieverbrauch kein Maßstab mehr sein soll, wurde auch auf Nachfrage nicht so recht klar. Esser verbindet damit offenbar das Problem unrealistischer Berechnungen: "Wir stellen einfach fest (...), dass der errechnete Primärenergiebedarf überhaupt nicht mit dem tatsächlichen Verbrauch der Gebäude zusammenpasst." Beim CO2 sprach sie während der Veranstaltung zunächst nur von "Kennwerten"; unter vier Augen wurde jedoch deutlich, dass daraus nach einigen Jahren spezifische Grenzwerte für Neubauten werden sollen.

Erneuerbare statt Wärmedämmung

In Essers Stellungnahme zeigte sich zudem eine Tendenz gegen die Wärmedämmung: "Wir brauchen natürlich einen gewissen Mindestwärmeschutz (...), aber wir können nicht permanent nur auf Dämmung setzen." Die Mieter und Nutzer der Gebäude dürften nicht über Maß belastet werden. Wir seien "mit der Systematik der EnEV am Ende der Fahnenstange angekommen". Es seien "keine weiteren Verschärfungen mehr möglich, weil die Wirtschaftlichkeit dann nicht mehr gegeben ist". Esser forderte stattdessen, viel stärker erneuerbare Energien mit einzubeziehen. Hoffnung setzt sie dabei auf das bekannt gewordene Konzept des Bundeswirtschaftsministeriums, das unter anderem Bonusregelungen für den Einsatz von PV-Anlagen und BHKW vorsehe.

Die Position des Verbändebündnisses hat sich damit gegenüber 2014 verschoben. Damals hatte der Schwerpunkt noch auf Forderungen nach stärkerer Subventionierung und vereinfachter Förderung der energetischen Sanierung gelegen. Freilich gehörten zu dieser Zeit auch noch der inzwischen aufgelöste Gesamtverband Dämmstoffindustrie (GDI) und der Verband Fenster + Fassade (VFF) zu den Unterzeichnern. Aktuell jedenfalls sehen die Verbände die große Koalition immerhin auf dem richtigen Weg. Da jedoch noch kein Gesetzentwurf vorliegt, lautet die Bewertung beim Thema Energie nur "gelb".

Die Bundesländer bremsen

Bei drei anderen Themen hingegen sehen die Verbandsvertreter "rot", weil hier Umsetzungsschritte noch nicht einmal eingeleitet seien: verbilligtes Bauland von Ländern und Kommunen; höhere Abschreibung und Wohnungsbauförderung; Vereinheitlichung der Landesbauordnungen auf der Grundlage einer Musterbauordnung mit abgesenkten Standards. Naturgemäß sind das die Punkte mit der stärksten Bundesländerzuständigkeit.

Auch bei den restlichen, durchgehend mit "gelb" ("erste Umsetzungsschritte eingeleitet") bewerteten Stichpunkten geht es den Verbänden darum, "alle Investorengruppen dafür zu gewinnen, zusätzlichen bezahlbaren Wohnraum zu schaffen". Dass das nötig ist, versuchte Robert Feiger mit der neuesten Statistik zu belegen. Der Bundesvorsitzende der Industriegewerkschaft Bau: "Jährlich müssten (...) 400.000 Wohneinheiten (...) neu gebaut werden. Stattdessen haben wir im letzten Jahr rund 248.000 Wohnungen erstellt, und auch in diesem Jahr werden es vermutlich um die 300.000 Wohneinheiten werden."

Zu wenig Bauland

Auf die Frage nach den Ursachen räumte Christian Bruch, der Geschäftsführer des Bundesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) mit der Vorstellung auf, es mangle an Handwerkern: "Ich kenne kein Projekt, wo wir gesagt haben, wir können das nicht durchführen, weil wir keine Auftragnehmer finden. Sondern Sie finden im Augenblick keine Grundstücke, Sie kriegen keine Baugenehmigungen, Sie haben Probleme bei den Nachbarn, die dagegen sind. Die Auflagen sind zu hoch."

Doch auch der Punkt "Wohnsiedlungen nachverdichten, Brachflächen und Baulücken schließen" <link fileadmin user_upload bauen_und_sanieren politik analyse_10_punkte_hendricks_wohnungsoffensive_2016.pdf _blank>des 10-Punkte-Programms wurde vom Verbändebündnis in seiner Analyse nur mit "gelber" Wertung bedacht. Am Referentenentwurf des Bauministeriums stört die Verbände, dass der neue Baugebietstyp "Urbanes Gebiet" nur ausnahmsweise reine Wohngebäude vorsieht. Nach der Ankündigung im März war erwartet worden, dass in solchen Baugebieten trotz um 3 Dezibel höherer Lärmobergrenze als in Wohngebieten – das entspricht einer um 23 Prozenz höheren subjektiven Lautstärke – regulär Wohnhäuser gebaut werden dürfen. Das Bau-Verbändebündnis ist dafür und will, dass anders als im Referentenentwurf auch straßenseitig im Erdgeschoss Wohnungen zulässig sein sollen. – Dass so Wohnungen direkt an stark befahrenen Straßen möglich würden, hatten Umweltschützer wie der BUND bereits kritisiert.

An anderer Stelle im Referentenentwurf sehen die Bau-Verbände sogar einen Rückschritt. Demnach würde das "beschleunigte Verfahren" erschwert. Diese Ausnahme in § 13a des Baugesetzbuchs erlaubt es, beim innerörtlichen Bauen auf einer Fläche von unter 20.000 Quadratmetern Fristen zu verkürzen, das Bauen ohne Umweltprüfung zu genehmigen und falls nötig den Flächennutzungsplan erst nachträglich anzupassen. Für dieses Verfahren, das von den Gemeinden "vielfach genutzt" werde, sei eine "deutliche Erschwerung" zu erwarten. Außerdem fordern die Verbände mehr Außenentwicklung, also das Schaffen ganz neuer Orte außerhalb des bisherigen Siedlungsbereichs – "behutsam und verträglich", wie es BFW-Geschäftsführer Bruch formulierte. Von Alexander Morhart

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