Bürger erarbeiten Lösungen für Energieeffizienz

Quartiere werden zu Laboren

Das Nachhaltigkeitszentrum des Reallabors in Karlsruhe soll Wissenschaft und Bürgerschaft dienen. © KIT

Reallabore sind der neueste Trend der Forschung. Unter Praxisbedingungen sollen im Kleinen Lösungen erarbeitet werden, die sich später im großen Maßstab anwenden lassen. Auch für das energetische Bauen und Sanieren im Quartier gibt es inzwischen mehrere Reallabore. Gerade baut das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) seine Projekte "Quartier Zukunft − Labor Stadt" und "Reallabor 131: KIT findet Stadt" aus.

In den Quartieren liegt eine Chance für mehr Energieeffizienz, weil gemeinsame Anlagen besser ausgenutzt werden können und das ihre Wirtschaftlichkeit steigert. Die Forschung widmet sich nun mehr und mehr der Frage, wie dieses Potenzial gehoben werden kann. Das fügt sich zu dem Ansatz, die Bewohner bei der Entwicklung der Konzepte mit einzubeziehen. So betreibt es das KIT seit mehreren Jahren in der neben dem Institut gelegenen Karlsruher Oststadt.

Außerdem hat das KIT das Format "Reallabor" weiterentwickelt. Aufsätze dazu sind in einem Schwerpunktheft der "Zeitschrift für Technikfolgenabschätzung in Theorie und Praxis" nachzulesen. "In den Städten Europas", heißt es dort, "bedeutet nachhaltige Entwicklung eine Transformation im Bestand, sowohl auf räumlicher als auch auf sozialer Ebene – und nicht etwa den großflächigen Abriss und Neubau von Siedlungsstrukturen."

Konkret haben die Bürger der Oststadt Vorschläge zur nachhaltigen Gestaltung ihres Quartiers erarbeitet und sie in einem "BürgerProgramm" mit den Schwerpunkten Mobilität, Raum und Soziales, Energie und Konsum festgehalten.

Im Bereich Energie schlagen sie vor:

  • Eine Einsparung von rund zehn Prozent der Heizenergie durch Optimierung der Heizungssysteme (Pumpentausch, Optimierung der Heizungssteuerung, hydraulischer Abgleich). Ein Energieberater soll die Eigentümer dafür aktiv kontaktieren und einen Termin zur Beratung und Einstellungsoptimierung vereinbaren
  • Die Umsetzung eines beispielhaften Pilotprojekts: Autarke Versorgung eines Wohnblocks mit erneuerbarer Wärme und regenerativem Strom dank größerer Speicherkapazitäten
  • Erstellung eines Energiekonzepts: Welche Energieversorgungsmöglichkeiten bestehen (z.B. Fernwärme, Solarthermiekataster), welche Möglichkeiten bieten sich für welche Gebäudetypen an (z.B. Wärmepumpen für Flächenheizungen, BHKWs bei höherem Wärmebedarf), welche Fördergelder sind möglich?
  • Etablierung einer beratenden Expertengruppe, die das Energiekonzept erarbeitet und umsetzt, indem sie aktiv auf die Gebäudeeigentümer und -bewohner zugeht. Für jedes Gebäude wird ein detailliertes Versorgungskonzept auf Basis regenerativer Energien erarbeitet und den Eigentümern erläutert. Die Expertengruppe unterstützt während des Umsetzungsprozesses
  • Einrichtung eines Nachhaltigkeitsbüros zur Vermittlung und Bewerbung des Konzeptes. Hier werden regelmäßige Beratungstermine zur Erläuterung der Gebäudekonzepte angeboten

Die Erkenntnisse aus dem komplexen Beteiligungsprozess in der Oststadt fließen nun in ein "Transformationszentrum für nachhaltige Zukünfte und Kulturwandel" des KIT. Es wird in den kommenden zwei Jahren unter anderem die Energiewende in der Oststadt weiter begleiten. Das Ministerium für Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg fördert Konzeption und Entwicklung mit 480.000 Euro.

Innovationsnetzwerk soll Hürden beseitigen

Aber auch in Nordrhein-Westfalen werden solche Konzepte erprobt. Dort besteht das Regionale Innovationsnetzwerk Energieeffizienz Ruhr unter der Leitung des Instituts für Energiesysteme, Energieeffizienz und Energiewirtschaft der TU Dortmund. Ein Versuchslabor ist der Mülheimer Stadtteil Heißen. Nach dem Willen des fördernden nordrhein-westfälischen Kultusministeriums soll das Netzwerk drei Hürden auflösen, die Kooperationen im Quartier normalerweise unwahrscheinlich machen:

  • Dezentrale Kraftwerke als Lösung auf Quartiersebene setzen voraus, dass Mieter bereit sind, mehr Verantwortung zu übernehmen und Betreiber der Kraftwerke zu werden. Etablierte Versorger wie die Stadtwerke sehen in solchen Modellen oft Konkurrenz – und halten ihre Expertise zurück
  • Kooperation und Austausch beruhen auf Vertrauen. Bislang gibt es aber keine Institutionen, die auf Ebene der Quartiere den systematischen Austausch potenzieller Projektpartner aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft fördern
  • Das Ziel steht noch nicht fest – die Projektpartner müssen es erst selbst entwickeln

Unter Federführung der TU Dortmund arbeitet außerdem noch bis Ende dieses Jahres eine Gruppe von zwölf Doktoranden in einem Fortschrittskolleg "Energieeffizienz im Quartier: clever versorgen.umbauen.aktivieren" zusammen. Ihre Leitfrage ist, welche Innovationen und Strukturen notwendig sind, um eine flächendeckende Umsetzung von Energieeffizienzmaßnahmen in verschiedenen Quartieren zu erreichen.

Einer der bereits veröffentlichten Aufsätze beschäftigt sich am Beispiel Oberhausens mit den räumlichen Mustern von Energiearmut und zeigt Wege, die bedürftigsten Stadtteile zu finden. Dabei wird auch ein Bewusstsein für mögliche Konfikte zwischen sozialen und ökologischen Zielen geweckt. Die Abschlusskonferenz des Regionalen Innovationsnetzwerk Energieeffizienz Ruhr findet am 28. Februar im Dortmunder Kompetenzzentrum Elektromobilität statt.

Wirtschaftsministerium sucht Konzepte

Auch das Bundeswirtschaftsministerium hat die Reallabore entdeckt und im November die Gewinner des Ideenwettbewerbs EnEff.Gebäude.2050 im Rahmen der Forschungsinitiative Energiewendebauen prämiert. Gesucht waren Konzepte für einen künftigen internationalen Energiewettbewerb für Gebäude und Quartiere, die einen interessanten Austragungsort präsentieren und ihn nachhaltig als Experimentierraum oder "Living-Lab" in das städtische Umfeld integrieren.

Gemeinsam im ersten Rang wurden die Bergische Universität Wuppertal mit der Stadt Wuppertal und die Brandenburgische Technische Universität Cottbus mit der Stadt Cottbus für ihre Konzepte prämiert. Auf dem zweiten Platz folgten die Ideen der Beuth Hochschule für Technik Berlin mit der Stadt Berlin sowie die Technische Universität Darmstadt mit der Stadt Frankfurt am Main. Die TU Braunschweig erhält zusammen mit der Stadt Braunschweig einen Sonderpreis. Die ausgezeichneten Konzepte werden allerdings nicht direkt umgesetzt, sondern sollen als Vorbereitung für die mögliche Ausschreibung eines internationalen Energiewettbewerbs dienen. von Susanne Ehlerding

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