Energiesprong heißt ein neues Konzept aus den Niederlanden, das einen Paradigmenwechsel der energetischen Sanierung einleiten soll. 11.000 Häuser wollen die Partner im Energiesprong-Konsortium - vier Bau- und sechs Wohnungsunternehmen - in industriellem Maßstab auf Nullenergiestandard sanieren.
Weitere 21 Wohnungsunternehmen haben eine Rahmenvereinbarung unterzeichnet. Sie wollen die Sanierung von weiteren 100.000 Wohnungen beauftragen, wenn die ersten Sanierungen von Energiesprong im zugesagten Kostenrahmen bleiben - nämlich so preiswert sind, dass sie sich durch die eingesparten Energiekosten amortisieren. Insgesamt kommt Energiesprong also auf 111.000 Wohnungen, die den Auftrag für die industrielle Fertigung interessant machen.
Die beteiligten Baunternehmen haben eigens Fertigungsstraßen für die Dachhaut, die neue Haustechnik und die neuen Fassaden gebaut, die wandweise vor die Häuser montiert werden. Um den Großauftrag zu bekommen, müssen sich die Firmen aber einem harten Diktat unterwerfen und 30 Jahre Garantie auf die Einsparungen geben.
Unternehmerisches Team soll Sanierungsquote erhöhen
Die Vorgeschichte dazu erzählt Ron van Erck von Energiesprong: "Ende 2009 hat die Regierung erkannt, dass sie nicht die notwendige Dynamik erzeugen konnte, um genug energetische Sanierungen anzustoßen. Es fiel die Entscheidung, die Aufgabe in die Verantwortung eines unternehmerisch denkenden Teams zu geben." Energiesprong arbeitet unter dem Dach der staatlichen Agentur Platform 31 - die Zahl entspricht der internationalen Telefonvorwahl der Niederlande.
Es fiel die Entscheidung, einen Nullenergiestandard für die Gebäude anzustreben, weil der ohnehin irgendwann erreicht werden sollte. Nullenergiehäuser verbrauchen übers Jahr gerechnet nicht mehr Energie, als sie mit regenerativen Anlagen produzieren. Wie die Bauunternehmen dahin kommen, ist ihnen überlassen. "Es gibt keine technischen Spezifikationen, sondern verlangt wird nur die Garantie auf die Performance, also was wirklich an Energiekosten anfällt", sagt Ron van Erck.
Subventionen gibt es keine. Und vor allem: die Miete bleibt gleich. Die Hausbesitzer verlangen von den Mietern die gleiche Warmmiete wie vorher, die gesparten Energiekosten gehen in die Bezahlung der Sanierung. Vorfinanziert wird sie von der Bank Nederlandse Gemeenten (BNG), die auf (halb-)staatliche Projekte spezialisiert ist.
600 Häuser sind bereits saniert
Bisher hat Energiesprong 600 Häuser saniert, sagt Ron van Erck. Weitere 6000 sind in konkreter Planung, die meisten sollen 2016 fertig werden. "Damit ist Energiesprong nicht ganz im Zeitplan", räumt van Erck ein. Die Bauunternehmen hätten länger gebraucht als gedacht, um ihre Prototypen zu entwickeln. Zweifel an der Gesamtstrategie aber, wie sie kürzlich in der Facebookgruppe Ökobau Netzwerk Deutschland geäußert wurde ("Der Deal steht vor dem Aus, da viele der großen Unternehmen sich nicht an die Zusagen halten können"), weist er zurück: "Wir sind auf einem guten Weg."
Insgesamt gebe es eine Liste mit 300 Details, die noch zu verbessern sind. Dazu gehören unter anderem technische Dinge. "Es gibt immer einen Kleber, der nicht hält oder eine Wärmepumpe, die zu viel Lärm macht", sagt van Erck. Das sei aber nicht das Entscheidende. "Es geht um ein ganz neues Denken. Die Einspargarantie macht die Unternehmen sehr viel wachsamer, perfekte Qualität abzuliefern."
Zu den neuen Herausforderungen gehöre auch, die Zufriedenheit der Verbraucher zu sichern. "So etwas gehörte bisher nicht zu den Kernkompetenzen von Baufirmen", sagt van Erck. Energiesprong verspricht, die Sanierung eines Hauses innerhalb einer Woche durchzuziehen. "Wenn es dann zwei Wochen dauert und die Bewohner eine viel größere Invasion von Bauarbeitern erleben als sie erwartet haben, leidet die Zufriedenheit mit der Ausführung." Dem Endprodukt gäben die Mieter dann aber eine Note von mehr als 8 auf einer Skala von 10, sagt Ron van Erck. Er ist als Programm Manager Europa für die Internationalisierung von Energiesprong verantwortlich.
Der Sprung nach Großbritannien und Frankreich steht an
Schritte nach Großbritannien und Frankreich sind schon bekanntgegeben. Es hat aber auch erste Gespräche mit deutschen Partnern gegeben, darunter die Deutsche Energieagentur dena und die Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz (Deneff), verrät van Erck. Einer der Verbündeten von Energiesprong in Deutschland ist auch die Stiftung neue Verantwortung, die das Konzept in einer Studie beschrieben hat. Emanuel Heisenberg, der die Studie verfasst hat, fordert eine industrielle Bündelung von Stückzahlen auch für Deutschland. "Das ist die Zukunft. Wenn nicht, ist es völlig unmöglich, die Sanierungsrate zu verdoppeln oder zu verdreifachen." Das aber wäre nötig, um die deutschen Klimaziele bis 2050 zu erreichen.
Heisenberg und die Dena haben ein paar Zahlen zum Marktpotential zusammengetragen: Laut Gebäudezensus von 2011 gibt es in Deutschland 400 000 Mehrfamilienhäuser mit 7 bis 12 Wohneinheiten und 900 000 Mehrfamilienhäuser mit 3 bis 6 Wohneinheiten, die zwischen 1949 und 1979 errichtet wurden. Ihre Energiebilanz ist im Allgemeinen sehr schlecht, 72 Prozent haben noch keine gedämmten Außenwände. Mit dieser Rechnung kommt Heisenberg auf 940 000 kleinere Mehrfamilienhäuser, die für das Geschäftsmodell in Frage kämen.
Bauministerium: "Vorfertigung für Sanierung individueller Gebäude nicht geeignet"
Was die Bundesregierung von der Industrialisierung der energetischen Sanierung hält und ob sie dergleichen plant, hat die Grünen-Abgeordnete Julia Verlinden mit einer Anfrage in Erfahrung zu bringen versucht. In seiner Antwort schreibt Staatssekretär Florian Pronold (SPD) vom Bauministerium: "Die Vorteile einer hohen industriellen Fertigung sind bekannt" und verweist auf den Bericht der Baukostensenkungskommission. "Insgesamt jedoch zeigen sich Industrialisierungs- und Vorfertigungssätze für die Sanierung individueller Gebäude als nicht so gut geeignet", meint Pronold. Die energetische Modernisierung bei Sicherstellung einer hohen baukulturellen Qualität bedürfe in der Regel der individuellen Planung und Beratung.
Tatsächlich mögen sich Baukulturpuristen an den falschen Riemchenklinkern stören, die auf Erklärvideos von Energiesprong zu sehen sind. Ziel der Initiative ist aber, auch das "Look an Feel" eines Hauses zu verbessern, sagt Ron van Erck. Ein Teil von Pronolds Antwort beruht außerdem auf einem Missverständnis: Dass der Staat viele 100 000 Wohnungen saniere, ginge ja nicht, weil weder Bund noch Länder so viele Wohnungen besäßen. "Der Staat soll ja nur eine intelligente öffentliche Ausschreibung aufsetzen und das Verfahren sponsern, damit die Sache ins Rollen kommt", erklärt Emanuel Heisenberg.
Möglicherweise haben Konzepte wie das von Energiesprong eine Chance, wenn im Sommer eine Bauministerkonferenz über die nächste Stufe der Energieeinsparverordnung berät. Fachleute fordern immer wieder, sie auf CO2-Einsparungen abzustellen und weniger technische Spezifikationen zu machen oder gar Dämmstärken vorzuschreiben. Geschäftsmodelle wie das von Energiesprong seien allerdings schwierig einzuführen, wenn der Ölpreis so niedrig ist wie heute, sagt Emanuel Heisenberg. Auf lange Sicht sieht er aber gute Chancen auch in Deutschland. von Susanne Ehlerding