"Energiestandards angesichts der Zuwanderung aussetzen"

Bau-Bündnis fordert Moratorium der EnEV 2016

Ingeborg Esser, GdW, will EnEV aussetzen. © A. Morhart

Ein Baubündnis will die für 2016 geplante Verschärfung der Energieeinsparverordnung (EnEV) für mindestens fünf Jahre auf Eis legen.

Die für 2016 geplante Verschärfung der Energieeinsparverordnung (EnEV) soll für mindestens fünf Jahre auf Eis gelegt werden - das fordert ein Bündnis von elf Organisationen aus der Bau- und Wohnungsbranche. Damit soll auf die seit 2009 stark erhöhte Zuwanderung nach Deutschland reagiert werden, die aktuell noch einmal angestiegen ist. Ohne den Druck eines um 25 Prozent geringeren Primärenergiebedarfs nach der EnEV 2016 könne man deutlich billiger bauen. Umweltverbände widersprechen in ersten Reaktionen.

In der Einladung des "Verbändebündnisses sozialer Wohnungsbau" zum Pressegespräch hatte es lediglich geheißen: "Wohnungsbedarf in Deutschland steigt drastisch", und auch in den Unterlagen, die bei der Veranstaltung am Dienstag ausgeteilt wurden, findet sich kein Hinweis auf das Thema Energie. Doch nachdem Vertreter aus Bau- und Immobilienwirtschaft, Industriegewerkschaft Bau, Mieterbund und Architektenbund einen "Neustart des sozialen Wohnungsbaus" und zusätzliche Steuervergünstigungen für den Wohnungsbau privater Investoren angemahnt hatten, wurden die Vortragenden auf Nachfrage auch zum Thema Baustandards deutlich.

"Aussetzung der EnEV für den kompletten Neubau"

Für den Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) forderte Hauptgeschäftsführerin Ingeborg Esser "eine Aussetzung der EnEV 2016 für den gesamten Neubau". Demnach soll der heutige Wärmestandard für alle neuen Wohngebäude beibehalten werden - also nicht nur für einen vom Verbändebündnis verlangten staatlich geförderten Bau von Wohnungen. Fünf Jahre soll das Moratorium dauern, so dass es keinen Widerspruch zu den EU-Vorgaben ab 2021 gebe. Diese Zeit solle nach Hans-Georg Wagner, Präsident des Bundes Deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure (BDB) genutzt werden um zu prüfen: "Was erzielt die EnEV eigentlich für Wirkungen?"

 

Dass es bei der Skepsis gegenüber der Verordnung nicht nur um akademische Details geht, machte Andreas Ibel klar, Präsident des Bundesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW): Man müsse "kucken, wie richtig denn die Berechnungen, die der EnEV zugrunde liegen, überhaupt sind. Wieviel ist denn verbrauchsabhängig? Was kostet uns das eigentlich überhaupt an CO2, um die Produkte herzustellen? Wir sind jahrelang einem gewissen Rechenmodell gefolgt. Das hat dazu geführt, dass Bauen und damit Wohnen immer teurer wird."

Der Baupreis würde durch den Unterschied zwischen der jetzigen und der EnEV 2016 um mindestens 7 Prozent erhöhen, sagte der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe (ZDB) Felix Pakleppa. Diese Kostenrechnung  ist umstritten. Andreas Ibel bemängelte weiter, gleichzeitig hätten die Einspareffekte immer weiter abgenommen und lägen zwischen der alten und der neuen EnEV "im Promillebereich". Außerdem stelle er sich die Frage, "ob wir nicht vielleicht in zehn Jahren ganz andere Materialien haben".

"Politik zweifelt an der EnEV"

Nach Ibels Erfahrungen sind grundsätzliche Zweifel an der EnEV auch in der politischen Klasse weit verbreitet - nur traue man sich dort nicht, das offen auszusprechen: "Wenn man sich mit den baupolitischen Sprechern aller Fraktionen im vertraulichen Kreise zusammensetzt, werden sie alle sagen: Wir verstehen das."

Die Bundesregierung hat bisher zu den Forderungen nicht Stellung genommen. Es gibt jedoch einen Entwurf für eine Änderung der EnEV speziell für Änderungen an bestehenden Gebäuden. In einem neu einzufügenden Paragraph 25a würde es unter anderem heißen, solche Gebäude seien bis 2018 bei einer Nutzung als Asylunterkunft "von den Anforderungen des § 9 befreit". Im Paragraph 9 sind Anforderungen zur Wärmedämmung und zum Heizungsanlage festgelegt. Eine Entscheidung im Einzelfall, ob "Neubauten zur zügigen Flüchtlingsunterbringung" von den EnEV-Anforderungen befreit werden, überlässt die Bundesregierung "der zuständigen Landesbehörde".

Umweltverbände haben das Ansinnen des Verbändebündnisses zum allgemeinen Wohnungsneubau scharf zurückgewiesen. "Die aktuelle Notsituation auszunutzen, um bestehende Klimaschutzstandards abzuwickeln, ist zynisch und ein bedauerliches Verhalten der Branche", sagte etwa Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Mietern würden viele Jahre lang höhere Unterhaltungskosten aufgebürdet. Einen Baukostenanstieg durch Vorgaben zum Wärmeschutz bezweifelt die DUH.

Umweltverbände kritisieren den Schritt zurück

Ähnlich äußerte sich Marita Klempnow vom Deutschen Energieberater-Netzwerk (DEN), die die Forderungen als "Trojanisches Pferd" bezeichnete. "Die bis 2020 gebauten oder umgebauten Immobilien werden danach ja nicht in einen energetisch höherwertigen Zustand versetzt. Die bleiben für die nächsten Jahrzehnte erst einmal so." Auch Sebastian Scholz vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu) findet es "moralisch verwerflich, die humanitäre Katastrophe, in der sich Flüchtlinge befinden, zu nutzen, um die notwendige Energieeffizienzpolitik zu torpedieren".

Was die Pläne der Bundesregierung speziell zur Asylunterkunft in Bestandsgebäuden angeht, verlangt Ulf Sieberg, Referent für Erneuerbare Wärmepolitik und -wirtschaft des Bundesverbands Erneuerbare Energie Einschränkungen. Es solle lediglich um regionenspezifische Ausnahmen bis maximal Ende 2016 (nicht 2018) gehen, wegen der Gefahr von Bauschäden sollten diese Ausnahmen nicht die Erweiterung von bestehenden Gebäuden umfassen und es sei sicherzustellen, dass die Gebäude später nicht ohne energetische Anpassung an die Standards zu Sozialwohnungen werden.

Chris Kühn, der Sprecher für Bau- und Wohnungspolitik der grünen Bundestagsfraktion, schrieb in einer Stellungnahme für EnBauSa.de: "Wir wollen prinzipiell kein Moratorium der EnEV 2016. Für die vielen Flüchtlinge (...) können wir uns vorstellen, im Rahmen eines Notfallprogramms (...) - und nur dafür - die EnEV-Standards, die nicht relevant für Leib und Leben sind, kurzzeitig auszusetzen. Für die soziale Wohnraumförderung darf die EnEV auf keinen Fall ausgesetzt werden." Von Alexander Morhart

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