Quelle: DEUTSCHE ROCKWOOL

Internationale Passivhaustagung 2021

Passivhaustagung 2021: Erfahrungen aus der Bahnstadt

Westteil der Heidelberger Bahnstadt. Foto: Buck

In der größten Passivhaussiedlung der Welt, der „Bahnstadt“ in Heidelberg, gibt es mittlerweile Messwerte über einen Zeitraum von zehn Jahren. Auch Erfahrungen aus der Baupraxis im Quartier waren Thema bei der Internationalen Passivhaustagung 2021 in Wuppertal.

„Wo baut man am geschicktesten den Ventilator ein? Am besten nicht in den Außentüren und bei der Tiefgarage, weil dort nämlich meistens die Schwachstellen auch sind; besser in einem Fenster im Erdgeschoss.“ Diesen Rat gab Kerstin Stolz von der Klimaschutz- und Energie-Beratungsagentur Heidelberg, wenn es um die Prüfung der Luftdichtheit eines Gebäudes mit dem Blower-Door-Test geht. Aus ihrer Sicht hat es sich bewährt, bei der Messung persönlich nach dem Rechten zu sehen.

Ebenfalls persönliche Anwesenheit empfahl sie für die richtige Methode, Fenster abzudichten. Dabei genüge es, pro Baustelle ein „Musterfenster“ abzunehmen. Daran könne man gegebenenfalls problematische Stellen zeigen. Was die Wärmedämmung angeht, appellierte Stolz, „möglichst wenige verschiedene Dämmstoffe einzusetzen, auch an Dicke und Lambda-Wert, weil man das manchmal schwer unterscheiden kann.“ Mit „man“ meinte sie die ausführenden Arbeiter auf der Baustelle.

Keine hundertprozentige Beheizung durch die Lüftung

Das typische Gebäude in der Bahnstadt skizzierte die Expertin als Massivbau mit fünf oder mehr Stockwerken und ein- bis zweigeschossigen Tiefgaragen und begrünten Flachdächern. Die Fassade sei mit Wärmedämm-Verbundsystem „ganz klassisch ausgeführt“; die Treppenhauskerne, die bis hinunter in die Tiefgarage reichten, lägen meist in der beheizten Hülle. „Und wir haben meist keine hundertprozentige Beheizung durch die Lüftung, sondern Heizkörper oder andere Systeme, auch Fußbodenheizungen, dort verbaut.“ Das Quartier wird hauptsächlich mit Fernwärme aus einem Holzhackschnitzel-Heizkraftwerk versorgt.

Welche Energiebedarfswerte sich mit dieser Bauweise erreichen ließen, stellte ihr Kollege Walter Orlik dar. Ausgewertet habe er dafür 18 Wohnbaufelder mit 200.000 Quadratmeter Bezugsfläche und fast 5.500 Bewohnern. Damit hat die Bahnstadt fast die Zielgröße erreicht, die bei 6.000 Bewohnern liegt. Als Mittelwert für den Bedarf an Wärme-Endenergie gab Orlik eine Größenordnung von 50 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr an, mit einer Bandbreite von 40 bis 70. Der Sockel im Sommer betrage etwa zwei Drittel des Gesamtverbrauchs. „Was ist da Warmwasser, was ist vielleicht ein Verlust? Da laufen noch weitere Messungen.“

Heizwärme ist im Zielkorridor

Jedenfalls lasse sich – mit einem systematischen Fehler von plusminus vier – daraus für die Heizwärme ein Mittelwert von 17 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr abschätzen. „So sind wir, denke ich, durchaus im Zielkorridor für die Heizwärme“, dessen Grenze für Passivhäuser bei 15 liege, sagte Orlik mit Verweis auf die Fehlerbreite. – In einer Veröffentlichung des Passivhaus-Instituts aus dem Jahr 2016 wird das als „Minimalmonitoring“ bezeichnete Verfahren, die Heizwärme aus einem Sommersockel abzuleiten, mit den begrenzten Finanzierungsmitteln von Stadt Heidelberg und EU begründet: „Mit dem vorhandenen Budget können keine detaillierten Messungen durchgeführt werden.“

Ebenfalls „ganz zufrieden“ sei er mit dem Strombedarf, sagte Orlik: „Alles zusammen haben wir zuletzt einen Kennwert gehabt von 28,5 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr“, wobei darin die Strommenge für Wohnungen und Allgemeinstrom inklusive zentraler Lüftungsanlagen enthalten sei. Den Primärenergiewert könne man bestimmen, indem man Wärme und Strom mit Primärenergiefaktoren hochrechne. Er habe für die Fernwärmenetze in Heidelberg 0,31 und für den Strom den „Bundes-Mix-Erzeugungspark in Deutschland“ mit dem Faktor 1,8 angesetzt.

Labore und Läden brauchen viel Energie

Insgesamt liege man bei 70 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr für den Wohnbau und bei ungefähr 90 Kilowattstunden für die Bahnstadt gesamt. Damit werde der Passivhaus-Grenzwert von 95 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr für die Siedlung als Ganzes eingehalten. Überschritten werde er, wenn man nur den Nichtwohnbau betrachte, wo sich ein Wert von 160 Kilowattstunden ergibt. „Aber das ist erwartbar, weil da sehr spezielle Nutzungen vorkommen: Labore, Lebensmittelläden und anderes.“ Da könne man nicht erwarten, dass allein in diesen Gebäuden die Kennwerte eingehalten werden könnten.

Sehr günstig stellt sich die CO₂-Bilanz dar, was dem Holz-Heizkraftwerk zu verdanken ist. Der Wohnbau-Bereich der Bahnstadt kommt hier auf 0,12 Tonnen CO₂ pro Person und Jahr, während der Mittelwert in Deutschland für den Wohnsektor bei 2,75 Tonnen liegt.

Etwas ins Straucheln kam Kerstin Stolz bei der Frage: „Haben die Firmen, Planer, Architekten mitgezogen?“ Sie antwortet nach einigem Zögern diplomatisch mit „ein sehr gemischtes Bild“. Sie versuchten, sich mit dem einen oder anderen Bauleiter auseinanderzusetzen, wenn dann „die netten Sprüche kommen, ‚das ist doch alles Quatsch’. Die haben wir auch schon gehabt, aber auch sehr motivierte Menschen.“

Walter Orlik berichtete, wenn man den Generalunternehmern sage, wie sie es machen sollten, „dann machen die das auch gut“, und betonte dabei die Rolle der Fachplaner. Es gehe vor allem darum, dass der Fachplaner entsprechend eingreifen dürfe. Manche Bauherren sähen nicht ein, dass es ein recht großer Auftrag sein müsse für den Fachplaner. „Aber wenn das gegeben ist, läuft das inzwischen recht reibungslos.“

Quelle: Internationale Passivhaustagung 2021 / Alexander Morhart

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