Eine Ehrenrettung des Mauerwerksbaus unter nachhaltigen Gesichtspunkten versucht eine Studie, die die Deutsche Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau (DGfM) gestern bei der Bau in München vorstellte. Sie beruht zum größten Teil auf zwei älteren Untersuchungen des Instituts für Massivbau an der Universität Darmstadt und ist über weite Strecken fast wortgleich.
Die neue Studie aber setzt einen anderen Fokus: Wie schneidet Mauerwerk in puncto Nachhaltigkeit im Vergleich mit der Holzständerbauweise ab? Dies hatte die Life Cycle Engineering Experts GmbH (LCEE), ein Spin-Off der TU Darmstadt, im Auftrag des Mauerwerksverbandes betrachtet. Gegenstand waren Mehrfamilienhäuser aus Mauerwerk, Stahlbeton und in Holzständerbauweise.
Das Fazit: Zieht man eine Ökobilanz über den ganzen Lebenszyklus eines Gebäudes von 50 bis 80 Jahren, bestehen zwischen einem Mehrfamilienhaus aus Mauerwerk und einem in Holzbauweise faktisch keine Unterschiede. Das gilt sogar, wenn man die gute Treibhausgasbilanz von Holz mit einberechnet.
Um zu diesem Ergebnis zu kommen, hatte Sebastian Pohl vom LCEE eine Ökobilanz nach dem System Nachhaltigkeit im Wohnungsbau (NaWoh) aufgestellt. Das Qualitätssiegel des Vereins ist seit 2016 vom Bundesbauministerium anerkannt. Seit 2012 werden damit Neubauten von Mehrfamilienhäusern unter Nachhaltigkeitsaspekten ausgezeichnet.
Pohl bilanzierte die Mauerwerksarten Ziegel, Kalksandstein, Poren- und Leichtbeton und bildete daraus einen Mittelwert. Mit dieser ersten Gruppe von Mauerwerksgebäuden wurden ein Modellgebäude aus Stahlbeton und eines in Holzständerbauweise verglichen.
Für die Holzständerbauweise unterschied Sebastian Pohl noch einmal zwischen einem Modellgebäude aus einheimischem und einem aus importierten Holz. Dabei setzte er einen Mix von Holz und Holzwerkstoffen aus den vier größten Bezugsländern Frankreich, Estland, Polen und Tschechien an. Danach legte er eine nach dem Importvolumen gewichtete Transportentfernung zugrunde. Dies ergab einen 5,4-fach höheren Treibhausgasfaktor für die importierten Hölzer.
Folgende Parameter gingen in die Gesamtwertung ein: Der Primärenergiebedarf über die gesamte Lebensdauer, das Versauerungspotential durch Emissionen wie Schwefeldioxid, das Potential, die Ozonschicht abzubauen und zur Ozonbildung beizutragen, der Beitrag zur Überdüngung und das Treibhausgaspotenzial. Die Gesamtökobilanz zeigt laut LCEE, dass eine Außenwand in Holzständerbauweise in fast allen Kategorien „mit Abstand die höchsten Umweltwirkungen aufwies“.
Nur was das Treibhauspotential angeht, schneidet Holz am besten ab: Es bindet etwas doppelt so viel Kohlendioxidäquivalente wie Mauerwerk und Stahlbeton bei der Produktion verursachen.
Wie er zu seinen Ergebnissen kommt und was etwa die Holznutzung überhaupt mit dem Abbau der Ozonschicht zu tun hat, macht Sebastian Pohl nicht transparent. Er nennt lediglich die NaWoh-System als Bezugspunkt. Explizit vermerkt die Studie jedoch, dass die Nutzungsdauer von Konstruktionsbauteilen aus Holz kürzer sei als der Betrachtungszeitraum der Studie von 80 Jahren und die Bauteile im Verlauf dieser Zeit einmal ersetzt werden müssen – mit entsprechenden Auswirkungen auf das ökobilanzielle Gesamtergebnis. Setzt man voraus, dass Bauteile aus Holz öfter ersetzt werden müssen, nähern sich die Ergebnisse bezüglich des Treibhauspotentials zwischen den Mauerwerks- und den Holzvarianten faktisch gänzlich an, schreibt Pohl. Der Vorteil des Holzbaus schmilzt auf einen kaum merkbaren Vorsprung ab.
Diese Stoßrichtung gegen den Holzbau hatte der Mauerwerksverband im Vorfeld der Bau in einer Mitteilung zugespitzt. Demnach sieht Pohl beim aktuellen Verbrauchsniveau von Holz in der Energie-, Möbel-, Papier- und Bauindustrie eine „ökologische Gefahr“. Der Wissenschaftler warnt vor einem „Raubbau am Forst“: „Die Situation bei den für Baukonstruktionen entscheidenden Nadelhölzern – insbesondere bei der Fichte – ist problematisch. Die Bundeswaldinventur hat ergeben, dass der Verbrauch hier um 15 Prozent über der natürlichen Nachwachsrate liegt.“
In der Holzbaubranche stoßen diese Zahlen auf Unverständnis. „Der Bundesverband Deutscher Fertigbau hat die für den Bau eines Holzfertighauses benötigte Holzmenge ausgerechnet, sie wächst in deutschen Wäldern innerhalb von 23 Sekunden nach“, teilt Sprecher Christoph Windscheif mit. „Hinzu kommt, dass der Marktanteil des Holzfertigbaus in Deutschland regional sehr unterschiedlich ist. Besonders viele Holzhäuser werden genau dort gebaut, wo viel Wald wächst – kein Zufall.“
Windscheif verweist als Beleg für den guten Zustand des Waldes auf die Waldinventur des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) von 2014. Demnach steht in deutschen Wäldern so viel Holz wie seit Jahrhunderten nicht mehr – und das bei einer hohen Nutzung. „Der Holzvorrat im deutschen Wald ist in den vergangenen zehn Jahren um sieben Prozent gestiegen“, teilt das BMEL mit. Deutschland verfüge aktuell über einen Holzvorrat von 3,7 Milliarden Kubikmetern. Damit stehe die Bundesrepublik an der Spitze der europäischen Länder, sogar vor den klassischen Waldländern Skandinaviens.
Rückgängig sind allerdings die Bestände von Fichten und Kiefern – das klassische Nadelholz für den Hausbau. Das ergibt eine Auswertung der Waldinventur durch die Plattform Forst und Holz. Dieser Rückgang hat aber vor allem mit dem Waldumbau zu tun, durch den viele Waldbesitzer reine Nadelbaumbestände vorsorglich in artenreiche und stabilere Mischwälder verwandeln.
Verwundert über die Präsentation der Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau zeigte sich auch der Deutsche Holzwirtschaftsrat (DHWR). Die besonderen Leistungen von Holz bezüglich Klimafreundlichkeit und Vorfertigung seien unbestritten, schreibt die Sprecherin des Rates, Melanie Wollenweber.
Diese Leistungen in Frage zu stellen, sei weder zeitgemäß noch zukunftsträchtig. „Dass Holz nicht dogmatisch als alleiniger Baustoff genutzt werden muss, versteht sich von selbst“, sagt Wollenweber. Große Erfolge könnten beispielsweise mit einer Hybridbauweise erreicht werden, bei der die Baustoffe nach ihrer jeweiligen Eignung ausgewählt werden. Aus Sicht des DHWR sei es unerlässlich, dass die Branche den Herausforderungen der Zukunft gemeinsam begegne. von Susanne Ehlerding