Quelle: DEUTSCHE ROCKWOOL

Renovierung

Klimaneutraler Gebäudebestand in Reichweite

Sanierung eines Reihenhauses im baden-württembergischen Laudenbach aus den 1970-er Jahren mit Passivhaus-Komponenten. Das Gebäude hat nach der Sanierung einen Heizwärmebedarf von 18 kWh /(m2a ). Foto: Passivhaus Institut

Mit den bisherigen Vorgaben sah es schlecht aus, den Gebäudebestand in Deutschland bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu bekommen. Auf Grundlage des Koalitionsvertrags von SPD, Grünen und FDP kommt das Passivhaus Institut zu ermutigenden Ergebnissen.

„Um das Jahr 2050 bis 2055 ist ein weitgehend klimaneutraler Gebäudebestand erreichbar“, mit diesen Worten fasste Jürgen Schnieders, Physiker und seit 2019 einer der Geschäftsführer des Darmstädter Forschungsinstituts Passivhaus Institut seine Modellberechnungen zur Entwicklung von Energiebedarf und -erzeugung in Deutschland für den Gebäudesektor zusammen. Der Koalitionsvertrag der Ampelregierung sei in dieser Hinsicht gar nicht so schlecht. Mit Sanierungen und Neubauten auf EnerPHit- beziehungsweise Passivhaus-Niveau wäre dieses Ziel jedoch noch günstiger und zuverlässiger zu erreichen. So die zentrale Botschaft seines Online-Vortrags im Rahmen des EU-Projekts outPHit. Dessen Ziel ist es, Sanierungen zu vereinfachen sowie zuverlässig hoch energieeffiziente Gebäude zu realisieren.

Eingangs hatte Schnieders noch einmal darauf hingewiesen, dass die im Pariser Abkommen genannten Vorgaben zur CO2-Reduktion völkerrechtlich verbindlich sind. „Wir haben also 20 bis 30 Jahre Zeit, die Emissionen weltweit auf Null zurückzufahren.“ Um zu prüfen, ob das in Deutschland für den Gebäudebestand erreichbar ist, hat das Passivhaus Institut ein Simulationsmodell aufgesetzt. Darin eingespeist wurden 350 Gebäudetypen aller Arten von Neu- und Altbauten, Wohn- und Nichtwohngebäuden. Dabei habe man zum Beispiel auch berücksichtigt, dass bisherige Annahmen beim Altbau oft zu pessimistisch waren, weil tatsächlich immer nur ein Teil der Räume und auch nur zu bestimmten Zeiten beheizt werde. Wie sich der Bestand entwickelt, prognostizierte das Team mit der jeweiligen Lebensdauer einzelner Komponenten wie Dach, Fenster und Haustechnik und der Annahme, dass zum Ende dieser Frist ein Austausch mit den entsprechenden Verbesserungen bei der Effizienz erfolge. Die Abrissquote wurde mit 0,5 Prozent angenommen und die Neubautätigkeit auf dem Niveau der letzten Jahre.

Bisherige Gesetze würden nicht ausreichen

Als Basisszenario stellte Schnieders das Gebäudeenergiegesetz der vorherigen schwarz-roten Bundesregierung vor. Würde man auf dieser Grundlage den Heiz-Energiebedarf von 540 Terawattstunden im Jahr 2021 fortschreiben, käme man auf eine Reduktion von etwa 20 Prozent und zum Ende des Berechnungszeitraums im Jahr 2070 sogar wieder auf einen leichten Anstieg. Auch wenn Neubauten als Effizienzhaus 55 ausgelegt sind, ergäbe das allenfalls minimale Verbesserungen. Zwar würde der Anteil der Erneuerbaren Energien auch nach diesem Szenario steigen, der CO2-Ausstoß läge aber auch in 50 Jahren noch bei knapp 100 Megatonnen pro Jahr. Das wäre bei Weitem nicht klimaneutral „Das würde bedeuten, der Zug ist abgefahren, da wäre 2050 nichts mehr zu machen“, so Schnieders.

Die neue Bundesregierung habe jedoch reagiert. Der Koalitionsvertrag sehe unter anderem drei für die Berechnungen wichtige Punkte vor: Jede neu eingebaute Heizung müsse auf Basis von mindestens 65 Prozent Erneuerbaren Energien arbeiten. Für wesentliche Aus-, Umbauten und Erweiterungen gelte der Standard Effizienzhaus 70 und für Neubauten das Effizienzhaus 40. Um möglichst realistische Werte zu erzielen, geht Schnieders davon aus, das beim Heizwärmebedarf in 40 Prozent der Fälle trotz eines Austauschs keine Verbesserung eintrete. Damit bilde man eine Sanierungsquote von etwa einem Prozent ab und trage der Tatsache Rechnung, dass bei Sanierungen oft die Möglichkeiten ungenutzt blieben, Effizienz zu verbessern. Zum Beispiel, indem man eine Hausfassade zwar renoviere, aber keine Dämmung anbringe.

Würden die Vorgaben der Ampelregierung vollständig umgesetzt, würde sich der Heizenergiebedarf demnach auf etwa 300 Terawattstunden pro Jahr reduzieren. Würde man darüber hinausgehen und auf Passivhaus-Standard bauen und auf dem vergleichbaren EnerPHit-Standard mit Passivhaus-Komponenten hocheffizient sanieren, errechnet Schnieders bis zum Jahr 2070 eine Reduktion um 80 Prozent auf noch gut 100 Terawattstunden Heizenergiebedarf pro Jahr. Nicht berücksichtigt ist, dass durch die Klimaerwärmung der Bedarf an Heizenergie ebenfalls etwas sinken dürfte.

Mit den im Koalitionsvertrag genannten 65 Prozent Erneuerbarer Energien in der Wärmeerzeugung bei Heizungstausch und der Annahme, davon würden zwei Drittel durch strombasierte Wärmepumpen ersetzt, 15 Prozent würden mit Fernwärme und 20 Prozent mit Biomasse betrieben, käme man bereits auf eine CO2-Bilanz von unter 100 Megatonnen pro Jahr, beim EnerPHit/Passivhaus-Model auf 50 Megatonnen jährlich.

Umbau der Stromerzeugung wesentlicher Faktor

Um nun herauszufinden, ob das tatsächlich für die Klimaneutralität ausreicht, ist einzurechnen, wie sich die Stromerzeugung in Deutschland entwickelt. Daher hat Schnieders auch hier die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag von 2021 kalkuliert: 80 Prozent Erneuerbare Energien ab 2030 mit einem gewaltigen Ausbau der Photovoltaik auf 500 Terawattstunden Erzeugung jährlich und der Windenergie auf 700 Terawattstunden So stünde zunächst einmal wesentlich mehr Strom zur Verfügung. Der würde allerdings gebraucht, weil er überwiegend im Sommer erzeugt und für die Heizenergie im Winter benötigt würde, also etwa über eine Umwandlung in Wasserstoff und Methan gespeichert werden müsste. Dabei geht wiederum Energie verloren. „Alle Szenarien sind keine Prognosen“, betonte Schnieders. „Niemand kann vorhersagen, wie sich der Gebäudebestand und die Energieerzeugung in den nächsten 50 Jahren verändern.“ Man könne nur Randbedingungen ändern und sagen, was die Situation verbessere oder verschlechtere.

Unter diesen Annahmen zeigt nun die CO2-Bilanz für Heizung und Warmwasser, dass beim nicht mehr aktuellen GEG im Jahr 2070 knapp 150 Megatonnen CO2 pro Jahr anfielen, wovon etwa 100 Megatonnen durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien eingespart werden könnten. Würden die Pläne des Koalitionsvertrags von 2021 umgesetzt, ergäbe sich um das Jahr 2055 ein CO2-Ausstoß von knapp 100 Megatonnen pro Jahr, der aber dann durch den Ausbau der Erneuerbaren komplett kompensiert würde. Bei der Berechnungsvariante mit Sanierung auf EnerPHit- und Neubau auf Passivhaus-Standard entstünden sogar Überschüsse an grünem Strom. „Für die werden wir dankbar sein, um sie in anderen Bereichen einzusetzen, zum Beispiel um CO2 aus der Luft zu holen“, sagte Schnieders und resümierte: „Das Koalitionsvertragsszenario hat die Chance in den Bereich zu kommen, den wir mit Erneuerbaren decken können.“

Beschleunigung des Umbaus kaum möglich

Auf die Kosten dieses gewaltigen Umbaus ging der Physiker ebenfalls ein. Dabei geht er von etwa gleichbleibenden Stromkosten aus. Beim Szenario auf Grundlage des Koalitionsvertrags kämen demnach auf die Gesellschaft Gesamtkosten von knapp sieben Billionen Euro zu, beim Szenario EnerPHit/Passivhaus rund sechs Billionen Euro jeweils für den Zeitraum 2021 bis 2070.

Den Umbau zu beschleunigen, ist nach Ansicht des Gebäudeexperten keine Option. Zwar wäre es rein rechnerisch möglich, damit bereits 2040 eine CO2-Neutralität zu erreichen, aber bei deutlich höheren Kosten innerhalb eines kürzeren Zeitraums. Zudem habe es das nötige Personal dafür nicht und man würde graue Energie nutzbarer Komponenten vernichten, also der Aufwand, der in bereits verbaute Teile gesteckt wurde, wenn man sie vor Ende der Lebensdauer ersetzt. Schnieders Fazit daher: Jetzt anfangen, hocheffizient zu sanieren und neu zu bauen – idealerweise Passivhäuser. „Dann bekommen wir den klimaneutralen Gebäudebestand auch tatsächlich hin.“

Bei Sanierungen richtige Reihenfolge entscheidend

Wie man das bei Altbauten realisieren kann, zeigte Benjamin Krick, Architekt und seit 2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Passivhaus Institut, am Beispiel eines Reihenendhauses, Baujahr 1980: Würde man bei diesem zunächst die Gebäudehülle dämmen, anschließend eine Wärmepumpe einbauen sowie eine Duschwasser-Wärmerückgewinnung und eine Photovoltaikanlage auf dem Dach mit Südausrichtung, würde das Haus mit seiner CO2-Bilanz das 1,5-Grad-Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen erreichen. Wichtig sei jedoch immer, erst die Gebäudehülle zu sanieren – im Idealfall auf EnerPHit/Passivhaus-Niveau – und dann die Heizung, da nach der Dämmung eine wesentlich kleinere Anlage ausreiche. Die derzeitigen Förderprogramme wirkten da leider kontraproduktiv. Kricks Fazit: „Wenn ein Bauteil angefasst wird, auf Passivhaus sanieren. Dann schaffen wir die Energiewende und das ist die gute Nachricht.“

Autor: Daniel Völpel

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