Die GWW, ein Wohnungsbauunternehmen aus Wiesbaden mit einem Bestand von etwas mehr als 13.000 Wohnungen, überwacht seit der Fertigstellung 2013 die Energieverbräuche in je zwei Passivhäusern und baugleichen Gebäuden, das nach EnEV 2009 errichtet wurden. Alle sind am gleichen Standort. In einem ersten Monitoring 2015 hatten die Passivhäuser einen deutlich höheren Stromverbrauch. Das hat sich im zweiten Monitoring, dessen Ergebnisse die GWW jetzt vorgelegt hat, bestätigt. Der Abstand ist sogar noch größer geworden. Die EnEV-Häuser kamen auf einen Allgemeinstromverbrauch von 5.000 kWh pro Jahr, bei den Passivhäusern waren es 18.900 kWh. Für Hermann Kremer, Geschäftsführer der GWW ist damit eines klar: "Unsere Konsequenz aus den Auswertungen ist, dass wir keinen Sinn darin sehen, Passivhäuser zu erstellen."
Er rechnet die Mehrkosten, die er für die Erstellung von Passivhäusern aufbringen muss, gegen Kosten und Nutzen einer energetischen Sanierung seiner Bestandsgebäude auf. Bei Passivhaus-Bauweise geht er davon aus, dass er 15 Kilowattstunden (kWh) pro Quadratmeter und Jahr an Heizenergie im Vergleich zu einem Effizienzhaus 55 einspart. Umgerechnet auf die jährlich neu gebauten 80.000 Quadratmeter seien das 1.200.000 kWh pro Jahr. Die Mehrkosten für die Passivhausbauweise beziffert er auf 320 Euro pro Quadratmeter. Würde er dieses Geld in die Sanierung stecken, könnte er zirka 25.000 Quadratmeter in Bestandsbauten sanieren und dort den Energiebedarf von derzeit im Durchschnitt 250 auf 100 kWh senken. Damit betrüge bei gleichem finanziellem Aufwand die Energieersparnis gut das Dreifache und beliefe sich auf knapp 4.000.000 kWh. "Wir geben das Geld lieber da aus, wo es sich umgerechnet auf die Kilowattstunde eher rechnet, und das ist in der Sanierung", lautet Kremers Resümee.
In Wirklichkeit falle die Bilanz sogar noch stärker zu ungunsten der Passivhäuser aus, denn "bei unseren Berechnungen, die die Rentabilität der Mehrkosten bei Passivhausbauweise der Sanierung entgegenstellen, gehen wir von den Normverbräuchen aus, nicht von den realen Mehrverbräuchen, die wir gemessen haben" sagt Kremer. Die lagen beim Heizenergieverbrauch bei den Passivhäusern bei 23,75 kWh, bei den EnEV-Häusern bei 33 kWh.
Passivhaus Institut: Mehrkosten sind zu hoch
Berthold Kaufmann vom Passivhaus Institut kann die Berechnungen zu den Mehrkosten nicht nachvollziehen. "Wir haben in unserem Arbeitskreis Kostengünstige Passivhäuser Mehrkosten von 80 bis 100 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche ermittelt. Vergleichsmaßstab waren gebaute Passivhäuser und der Baukostenindex (BKI). 220 Euro Mehrkosten wie bei der GWW sind für Erstlingsprojekte möglich, wenn man sich aber im Detail mit dem kostengünstigen Bauen auseinandersetzt, geht es auch deutlich günstiger."
Kremer rechnet neben den reinen Mehrkosten für die Erstellung, die er mit rund 220 Euro ansetzt, mit weiteren 93 Euro für Wohnraum, der durch mehr Dämmung verloren geht. Auch das kann Passivhaus-Experte Kaufmann nicht nachvollziehen: "Den Flächenverlust als Mehrkosten zu berechnen ist nicht angebracht. Wer ein Haus mit Dämmung baut, die dicker ist als vorgeschrieben, bekommt von den Bauämtern in der Regel ein größeres Baufenster genehmigt." Das sei ihm nicht bekannt und treffe auf Wiesbaden auch definitiv nicht zu, erwidert Kremer.
Auch das Argument, durch die neue Energieeinsparverordnung rückten "Normalbauweise" und Passivhausstandard ohnehin näher zusammen lässt Kremer nicht gelten. "Mit der neuen EnEV läge die Kostendifferenz bei zirka 200 Euro pro Quadratmeter, und die hohen Folgekosten durch Be- und Entlüftung bleiben."
Diese Kosten machen bei den beiden Passivhäusern der GWW Probleme. "Die Planung laut PHPP war in Ordnung, im Nachgang hat sich herausgestellt, dass die Lüftung zu viel Strom braucht", weiß Berthold Kaufmann. Als eine mögliche Ursache nennt Kaufmann das Frostschutz-Vorheiz-Register. Das werde manchmal teilweise so eingestellt, dass es zu früh aktiv wird. Das koste Strom. "Wenn man detaillierte Messungen macht, fallen diese Dinge auf."
Genaue Erfassung der Stromkosten soll folgen
Diese Messung will die GWW nun nachholen, so Kremer. Man werde gemeinsam mit dem Büro, das die Passivhausplanung gemacht hat, die Stromverbräuche detailliert untersuchen. Dazu werden im Moment weitere Stromzähler eingebaut, bislang läuft auch die Lüftung über den Allgemeinstromzähler.
Kremer warnt auch vor hohen Folgekosten durch den Unterhalt. "Wenn man bei den Wartungskosten für Lüftungsanlagen gute Verträge aushandelt, ist das nicht teuer. Die Preise für die Wartung sollten sich nicht an denen von Klimaanlagen orientieren, sondern deutlich darunter liegen. Es geht ja nur darum, einmal im Jahr die Filter zu wechseln und die korrekte Funktion zu prüfen", betont Passivhaus-Spezialist Kaufmann.
Er warnt davor, bei der Luftaustauschrate einen zu niedrigen Wert anzusetzen: "Der Luftwechsel ist in EnEV-Häusern häufig geringer als hygienisch notwendig." Das dürfe auch mit Fensterlüftung realisiert werden. In Klassenzimmern oder Konferenzräumen könne das auch schon von der Planung her so vorgesehen werden, ohne dass exorbitante Mehrverbräuche zu befürchten seien, sagt er.
Aufgefallen ist der GWW neben den hohen Stromverbräuchen in den Passivhäusern, dass sich der Verbrauch von Wohnungen zu Wohnung teilweise sehr stark unterscheidet: "Das Mieterverhalten scheint ein größeres Thema zu sein bei den Energieverbräuchen als bislang angenommen", betont Kremer. Doch die Mieter richtig zu informieren scheint schwierig zu sein. Nach dem ersten Monitoring hat die GWW nachgeschult. Darauf haben die Bewohner der Passivhäuser weniger geheizt, aber die Laufleistung der Lüftung hat sich erhöht. von Pia Grund-Ludwig