Holz, Rinde, Stroh und andere natürliche Abfälle eignen sich als Basis für neuartige Materialien, die in der Baubranche Anwendung fänden. Das EU-Projekt REHAP hat in den vergangenen viereinhalb Jahren untersucht, wie es um das ökonomische und ökologische Potenzial solcher Produkte bestellt ist. 16 Partner aus 7 EU-Ländern waren beteiligt, darunter auch Forschende der Universität Augsburg.
„Wir haben unter anderem untersucht, wo in der EU derartige Reststoffe in welcher Menge anfallen und welche Konsequenzen ihre Nutzung hätte“, erklärt Lars Wietschel. Der Wirtschaftsingenieur promoviert an der Universität Augsburg am Lehrstuhl für Production & Supply Chain Management von Prof. Dr. Axel Tuma. Dabei beschäftigt er sich unter anderem mit der Ökobilanz von Produkten aus nachwachsenden Rohstoffen. „Der Ersatz herkömmlicher Materialien durch grüne Alternativen hat Konsequenzen in unterschiedlichen ökologischen Bereichen - wir sprechen auch von Wirkungs- und Schadenskategorien“, sagt er. „Wenn man versucht, in einer dieser Kategorien ein optimales Ergebnis zu erzielen – etwa möglichst wenig Treibhausgase auszustoßen – dann läuft man Gefahr, sich an anderen Stellen unerwünschte Nebenwirkungen einzukaufen.“
Ein Beispiel sind Biotreibstoffe aus Energiepflanzen wie Raps: Ihr massenhafter Anbau hat zwar die Verbrennung klimaschädlicher Treibstoffe verringert. Gleichzeitig benötigte ihr Anbau aber Ackerland, das nicht mehr für die Agrarproduktion zur Verfügung stand. Als Folge stiegen die Agrar-Importe aus Ländern wie Brasilien, mit negativen Folgen für den Regenwald im Amazonasgebiet. „Reststoffe wie Stroh oder Holzabfälle konkurrieren nicht mit der Nahrungsmittelproduktion“, erklärt Wietschel. „Sie gelten daher als umweltverträgliche Ausgangsstoffe für Biotreibstoffe der zweiten Generation. Dennoch bringt auch ihre Nutzung Nachteile mit sich.“
Auf der Suche nach Sweet Spots
Denn dass der Bauer nach der Maisernte die Stoppeln stehen lässt und später unterpflügt, hat einen guten Grund: Die Maßnahme trägt dazu bei, die Nährstoff- und Humusbilanz im Boden aufrechtzuerhalten. Würden alle Pflanzenreste für Biokraftstoffe verwandt, würde die Bodenqualität abnehmen. Zudem müssten Landwirte mehr düngen. „Das ist nur eine von vielen Wirkbeziehungen, die zu bedenken sind“, erklärt Dr. Andrea Thorenz, die an der Universität Augsburg das „Resource Lab“ leitet. „Wir suchen nach Sweet Spots, an denen wir uns möglichst große Vorteile in einem Bereich durch möglichst geringe Nachteile in einem anderen Bereich erkaufen.“ Dazu nutzen die Forscher Computerprogramme, mit denen sie die Wechselbeziehungen algorithmisch abbilden können. Auf diese Weise lässt sich sichtbar machen, wie sich die Optimierung eines Parameters, zum Beispiel des Kohlendioxid-Ausstoß, auf einen anderen Parameter, beispielsweise die Landnutzung oder die Bodenqualität, auswirkt. Auf diese Weise lassen sich die Sweet Spots identifizieren. „Die Abwägung der Schadenskategorien gegeneinander kann die Software allerdings nicht übernehmen“, betont Thorenz. „Auf Basis der Informationen gegebenenfalls Prioritäten zu setzen, bleibt Aufgabe der Politik.“
Mit den Schadenskategorien zu arbeiten und ihre wechselseitige Beeinflussung sichtbar zu machen, erlaube informiertere Entscheidungen. Den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geht es dabei nicht so um das spezielle Problem der Biokraftstoffe. „Unsere Herangehensweise weist darüber hinaus“, betont Prof. Dr. Axel Tuma. „Sie lässt sich als eine Art Blaupause verstehen, wie man Entscheidungsprozesse transparenter machen kann, die eine Abwägung zwischen verschiedenen Zielen erfordern.“
Das Augsburger Wissenschaftsteam hat auch die ökonomischen Rahmenbedingungen untersucht, unter denen nachhaltige Materialien gegenüber ihren konventionellen Pendants konkurrenzfähig sind. Im Moment können sie in Punkto Preis nämlich meist nicht mit Produkten auf fossiler Rohstoffbasis mithalten. Durch Steuererleichterungen auf die umweltfreundlichen Alternativen oder eine CO2-Steuer ließe sich das aber ändern. Der technologische Fortschritt dürfte zudem dazu beitragen, dass die neuen Materialien künftig deutlich günstiger werden.
Quelle: Universität Augsburg / Delia Roscher