Nicht nur bei der Fußballweltmeisterschaft messen sich im Juni 2010 die besten Teams der Welt, sondern auch bei Entwürfen zu energieoptimierter Solar-Architektur. 20 Unis aus aller Welt treten beim Solar Decathlon Europe in Madrid an. Vier deutsche Teams stehen in den Startlöchern. Die Erwartungen an die universitären Decathleten sind hoch: Bereits zwei Mal konnte das Team der TU Darmstadt den Solar Decathlon in den USA gewinnen. Dabei sind ein Team der Hochschule für Technik Stuttgart, eine Mannschaft der Uni Wuppertal, Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Berliner Universitäten, die unter dem Namen Living Equia antreten sowie ein Team der Hochschule Rosenheim.
Der Solar Decathlon Europe 2010 ist ein vom spanischen Wohnungsbauministerium ausgelobter Wettbewerb, an dem 20 Universitäten aus aller Welt teilnehmen. Er soll Wissen über die Thematik der Nachhaltigkeit und vor allem Knowhow zu erneuerbaren Energiequellen vermitteln. Jedes Team muss ein 75 Quadratmeter großes transportables Haus planen und bauen. Bewertet werden die Disziplinen Architektur, Konstruktion, Solarenergie, elektrische Energiebilanz, Komfort, Geräte, kommunikativer und sozialer Anspruch, Marktfähigkeit, Innovation und Nachhaltigkeit.
Die Entwürfe der vier deutschen Teams sind dabei höchst unterschiedlich. Sebastian Fiedler vom Team der Stuttgarter legt besonderen Wert darauf, dass der Entwurf seines Teams angepasst ist an die klimatischen Gegebenheiten vor Ort. Das Haus besteht aus vier Modulen, die mit Fugen verbunden sind. Für ein subtropisches Klima, wie es in Madrid herrscht, wurde die letzte der drei Fugen in einer Form umgesetzt, die sich an historischer Wüstenarchitektur orientiert: Sie ragt über den Baukörper hinaus, in ihr befindet sich der sogenannte Energieturm.
Dieser Energieturm nutzt Verdunstungskälte. "Das funktioniert gut, weil die Luft trocken ist", sagt Fiedler. Ausgerichtet wurde der Turm so, dass er von Süden angeströmt wird. Das Tal des Flüsschen Manzanares, das die spanische Hauptstadt durchzieht, bietet dazu einen natürlichen Windkanal. Der Turm zitiere das Motiv der Turmlüftung in Regionen, in denen es heiß und trocken ist, so die Projektbeschreibung. Weitere Kühlung bringt die Nutzung thermischer Masse inklusive Phasenwechselmaterial im Innenraum. Aktive Kühlsysteme dienen als Backup.
Jedes der vier Module, aus denen sich das Haus zusammensetzt, beinhaltet eine eigene Funktion beginnend mit Loggia, Wohnmodul mit Eingang sowie Bereichen für Essen und Schlafen. Abgesehen von diesen Klimafugen sind die Fassaden der Wohnmodule in Richtung Osten und Westen geschlossen.
Wichtig ist dem Team die modulare Bauweise: "Basierend auf immer gleichen Grundmodulen können Wohn- und Arbeitsräume für verschiedene Haushaltstypen geschaffen werden: von dem klassischen Single über das Paar und der Familie bis hin zur Wohngemeinschaft", so das Team in seiner Projektbeschreibung.
Einer der ersten fünf Plätze sei Pflicht, hängt Fiedler die Latte für sein Team hoch. Die deutschen Teams hätten insgesamt einen gewissen Vorsprung, weil sie auf die Erfahrungen der deutschen Unternehmen in Sachen Energieeffizienz zurückgreifen könnten, sagt Fiedler.
Das Team aus Wuppertal hat sich mit dem Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme prominente Unterstützung geholt. Die Freiburger Solarfachleute unterstützen die Konzeption des Energiesystems des Hauses durch eine Gebäude- und Anlagensimulation. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der zeitaufgelösten Modellierung von Energiebedarf und vollständig solarer Energiebereitstellung durch ein batteriegepuffertes Solarstromsystem.
Doch auf die Technik alleine mag sich Soara Bernard, die in Wuppertal für die Organisation des Wettbewerbsengagements verantwortlich ist, nicht verlassen. "Wir haben ein besonderes architektonisches Konzept und arbeiten sehr viel mit Transparenz", beschreibt sie den Ansatz ihrer Mitstreiter. Das Haus wird wie alle Beiträge den Energieverbrauch eines Passivhauses haben, aber "wir haben uns für eine Passivhaus-untypische Ost-West-Ausrichtung entschieden", sagt Bernard. Beschattet wird mit einem aluminierten Gewebe vor der Glasfassade, das sowohl Sonnenschutz bietet als auch ein wichtiges architektonisches Element ist.
Auch die Wuppertaler legen Wert auf eine Anpassung an regionale Klimata: "Mit geringfügigen Änderungen innerhalb der Gebäudehülle sowie der Energiesysteme ist beispielsweise ein Standortwechsel vom warmen Klima Madrids in das gemäßigte Klima Wuppertals oder auch in kältere Klimazonen möglich", so die Projektbeschreibung. Sie legen Wert auf eine hochwärmegedämmte Gebäudehülle. Zentrales Element der aktiven Gebäudetechnik ist ein Lüftungskompaktgerät mit Wärmepumpe in Kombination mit Solarkollektoren.
Fast fertig ist auch das Haus des Berliner Teams, Ende April konnten sich Besucher beim großen "Tag der offenen Tür" davon überzeugen. In den kommenden zwei Wochen werden die letzten Ein- und Ausbauarbeiten am Haus vorgenommen und der Techniktest durchgeführt. "Wir wünschen uns, in Madrid ganz vorne mit dabei zu sein, wobei wir nicht einzig und allein das Ziel haben, den ersten Platz zu belegen. Wichtig für uns ist in erster Linie, dass wir das Haus in Madrid funktionstüchtig aufbauen können und dass wir als Team diese Herausforderung meistern", so Martin Hofmann vom Team Berlin.
Die Konkurrenten der FH Rosenheim erhalten Unterstützung durch die Fraunhofer Allianz Bau. Sie stellt bauphysikalische Softwareprogramme zur Verfügung und schult die Studierenden darin, gibt Tipps zu hygrothermischen und elektrischen Gebäudemonitoring-Konzepten und unterstützt das Team bei der Installation der gesamten Gebäudetechnik inklusive Fotovoltaik, verrät Marcus Wehner, Projektverantwortlicher des bayrischen Teams.
Besonders stolz ist Wehner auf den multifunktionellen Innenraum: "Dadurch erhält das Solarhaus eine höchstmögliche Variabilität in der Nutzung des Raumes. Highlights sind die neuentwickelten Innenraummöbel." Über die gibt es sogar ein Youtube-Video. Weitere Besonderheiten seien die neu entwickelte und zum EU-Geschmacksmuster angemeldete Zackenfassade. Dadurch erscheine das Gebäude in einem "einzigartigen, so in der Form noch nie zuvor gesehenen Design", schwärmt Wehner. Durch die Fertigung kompletter Raumzellen liege der Vorfertigungsgrad bei 90 Prozent.
Innovativ ist die Gebäudetechnik. Die Studentinnen und Studenten haben ein Übersetzerprogramm für Standardbus-Systeme in der Gebäudetechnik geschrieben. "Das macht die Steuerung zwar komplexer aber für den Nutzer intuitiver, weil auf einer Oberfläche alles bedient werden kann", erklärt Wehner die Vorteile. Nicht zuletzt wurde eine Lebenszyklusanalyse und Berechnung der Lebenszykluskosten nach den Kriterien der DGNB erstellt.
Bei der Frage nach den Siegchancen gibt sich der Rosenheimer zurückhaltend: "Das technologische Potential ist mit Sicherheit vorhanden, einen der begehrten Stockerlplätze zu erhalten. Aber es gibt noch unendlich viele Unbekannte die keiner vorher absehen kann." Wer gut vorbereitet sei und bei Unwegsamkeiten schnell reagiere habe die Nase vorn. "Wer weiß, ob es nicht sogar das zuletzt gestartete chinesische Team sein wird", schätzt Wehner.
Sollte die deutsche Fußballmannschaft in Gruppe D bei der WM Platz Eins belegen, dann spielt sie am Tag der Entscheidung im Solar Decathlon, dem 27. Juni 2010, das Achtelfinale. Beide Events versprechen Hochspannung. Wenigstens bei der WM werden die Chinesen nicht die Nase vorn haben. Schon allein deshalb, weil sie nicht dabei sind. 117pgl