Eines der prägenden Themen der Consense, die am 23. und 24. Juni 2009 in Stuttgart stattfindet, sind Siegel für nachhaltige Gebäude. Zu Beginn dieses Jahres wurde auf der Bau erstmals das Siegel der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) vergeben. Bislang gibt es die deutsche Ergänzung zu Bewertungssystemen wie dem amerikanischen LEED und dem britischen BREEAM aber nur für Nichtwohngebäude. An einer Variante für Wohngebäude wird mit Hochdruck gearbeitet. Doch die wohnungswirtschaftlichen Unternehmen sind skeptisch in Bezug auf diese Zertifikate.
"Große Teile der Wohnungswirtschaft haben ein hohes Interesse am nachhaltigen Bauen. Die Branche hat ein offenes Ohr und bisher sehr viel in dieser Richtung unternommen. Bei Zertifikaten herrscht aber Skepsis, weil es damit wenig Erfahrung in Deutschland gibt", sagt Sebastian Reich vom Immobilienbeirat der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen. Eine Debatte über Zertifikate im Wohnbaubereich sei aber sinnvoll, "das sieht man in anderen Ländern wie Großbritannien, in denen die Debatte schon weiter ist". Dort sind mehr als 100.000 Wohngebäude als Eco-Homes zertifiziert.
Ingrid Vogler, Technische Referentin des Bundesverbands der Wohnungs- und Immobilienunternehmen(GdW) lehnt zwar Zertifikate nicht prinzipiell ab, kann aber den bisherigen Vorschlägen der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen wenig abgewinnen. Dort wird an einer Variante für neue Wohnungsbauten ebenso gearbeitet wie an einem Siegel für Bestandsgebäude.
Dass die Vergabe von Siegeln für nachhaltige Gebäude bei der Wohnungswirtschaft noch nicht auf breite Zustimmung stößt, ist aus Sicht von Hans Peters, Geschäftsführer des Instituts für Bauen und Umwelt (IBU), durchaus nachvollziehbar. Befürchtet werde, dass sich Banken bei der Neuvergabe von Krediten auf die Bewertung stützen könnten, sagt Peters. Immobilienexperte Reich ist aber sicher, dass es hier Bewegung geben wird und sieht dafür bereits erste Anzeichen: "Der Wohnungswirtschaft ist durchaus bewusst, dass das Thema der Zertifizierung der Nachhaltigkeit kommen wird, ob man möchte oder nicht und dass man sich entweder hinten anstellt oder sich als Front Runner strategische Vorteile erarbeitet."
Aus Sicht des GdW geht die bisherige Debatte im DGNB für den Mietwohnungsbereich komplett am Thema vorbei, sie sei zu sehr am technisch Machbaren und zu wenig an der Finanzierbarkeit orientiert. "Für solche Gebäude findet man im Mietwohnungsbau keine Mieter", ist Ingrid Vogler sicher. Gemeinsam mit dem Bundesbauministerium will ihr Verband deshalb beginnen, an einem eigenen Zertifikat für neu gebaute Wohngebäude zu arbeiten. Erste Schritte sollen noch vor den Wahlen erfolgen. An dieser Runde könne sich natürlich auch der DGNB beteiligen, so Vogler.
Noch komplizierter ist die Situation bei Bestandsbauten. Grundsätzlich belohnt eine Zertifizierung einen Zustand, der über die gesetzlichen Anforderungen hinausgeht. Problematisch ist dabei laut Reich die Bestimmung des Ausgangspunktes, auf den sich eine Bewertung bezieht. "Nehmen wir den Energiebereich: Welchen Zeitpunkt nimmt man? Den Zeitpunkt der Baugenehmigung, den wesentlicher Änderungen am Gebäude, EnEV 2007, 2009 oder 2012? Wenn man sich die EnEV 2009 anschaut sowie die EnEV 2012 mit dem Vorschlag, auf EU-Ebene zu verlangen, dass Gebäude ihre Energie bis 2015 selbst produzieren, hat man es im Bestand extrem schwer", gibt Reich zu. Vogler fürchtet zudem eine Stigmatisierung bestehender Quartiere, wenn dortige Gebäude keine Zertifikate erhalten. Ob man da überhaupt zertifizieren könne sei fraglich, meint Vogler.
IBU-Fachmann Peters sieht das Problem, dass die Kreditvergabe an die Siegel gekoppelt werden könnte. Wenn eine nur durchschnittliche Bewertung für ein Gebäude eine Herabsetzung des Kreditvolumens zur Folge habe, könne sich die ohnehin schon angespannte Finanzlage bei vielen wohnungswirtschaftlichen Unternehmen noch verschärfen, fürchtet er. Aus gesellschaftlicher Sicht sei Transparenz aber zu begrüßen. "Bei der Umgestaltung der Stadtquartiere, die gesellschaftlichen Veränderungen wie der Erhöhung des Durchschnittsalters Rechnung trägt, werden wir Bewertungssysteme haben müssen" betont Peters. pgl