Die wachsende Weltbevölkerung und zur Neige gehende fossile Rohstoffe erfordern ein Umdenken im Bauwesen. „Wir müssen in den kommenden 20 Jahren die Welt von 1950 noch einmal bauen“, sagte Norbert Rüther, stellvertretender Fachbereichsleiter am Zentrum für leichte und umweltgerechte Bauten ZELUBA am Fraunhofer-Institut für Holzforschung, Wilhelm-Klauditz-Institut (WKI). Deutlich mehr Ressourcen würden verbraucht, als zurzeit nachwachsen. Konkret: In lediglich fünf Monaten wurden in Deutschland im vergangenen Jahr rein rechnerisch so viele natürliche Ressourcen verbraucht, wie im gesamten Jahr pro Person nachwachsen kann. „Wir hier in Deutschland bräuchten die dreifache Fläche, um von Nachhaltigkeit sprechen zu können“, verdeutlichte Rüther während des Webinars „Dämmstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen und Holzfaser-Wärmedämmverbundsysteme“ am 15. Februar.
Nachhaltige Dämmstoffe sind berechenbar
Nachhaltigkeit ist also das Stichwort, der Schlüssel im Baugewerbe dazu sollen natürliche, nachwachsende Rohstoffe sein. Diese könnten genutzt werden, ohne im Wettbewerb zum Beispiel mit der Landwirtschaft zu stehen. „Die Pflanzenteile für Dämmstoffe stehen nicht als Futtermittel oder Nahrungsmittel zur Verfügung“, zeigte er auf. Laut vorläufigen Zahlen der Agentur für nachwachsende Rohstoffe (FNR) wurden im Jahr 2021 auf 16 Prozent der 16,6 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche nachwachsende Rohstoffe angebaut. Der Anteil an Industriepflanzen liegt bei 293 Hektar, wovon wiederum Pflanzenfasern 6,5 Hektar ausmachen.
Noch wichtiger aber ist: „Natürliche Dämmstoffe sind berechenbar, mit ihnen können wir kalkulieren“, benennt Rüther den ausschlaggebenden Punkt. Den Nachweis erbrachte ein großes Forschungskonsortium bestehend aus zwölf Forschungsinstituten. Dadurch wurden umfangreiche Kenntnisse und Daten hinsichtlich Brand- und Feuchteverhalten erlangt, die zeigen, „dass alle Dämmstoffe berechenbar sind, sich kalkulieren lassen und einsetzbar in fast allen Anwendungen sind“, betonte Rüther und geht auf einen Vorteil ein. Natürliche Dämmstoffe stehen in vielfältigen Lieferformen zur Verfügung, etwa als Schnitt-, Einblas- oder Stopfdämmung. „Es gibt fast alles und sie sind fast überall anwendbar.“ Der Anteil natürlicher Dämmstoffe sei dennoch gering. Rund neun Prozent machten die natürlichen Dämmstoffe auf dem deutschen Absatzmarkt im Jahr aus, ermittelte die FNR mit einer Umfrage bei Unternehmen und Verbänden im Bausektor Ende des Jahres 2020. Das spricht für ein leichtes Wachstum um zwei Prozent. Eine Umfrage des FNR im Jahr 2011 ergab einen Anteil von sieben Prozent. Den höchsten Anteil hatten der aktuellen Umfrage zufolge Holzfaserdämmstoffe mit einem geschätzten Marktanteil von 58 Prozent.
Brandgefahr und Feuchtigkeit natürlicher Rohstoffe wurden untersucht
Auf Basis der gewonnenen Ergebnisse des Forschungskonsortiums ist inzwischen das Wissen vorhanden, wie die natürlichen Ressourcen in der Konstruktion eingesetzt werden müssen, damit sie wenig Feuchtigkeit aufnehmen und schwer zu entflammen sind. Als Maßgabe wurden gängige Dämmstoffe herangezogen, hier Polystyrol. Dieses gilt als schwer entflammbar. Rüther führte vor, wie eine etwas andere Einbauweise Polystyrol jedoch schnell in Brand setzen kann. Umgekehrt Holzfaserstoffe: „Gefühlt wirkt es schwer entflammbar“, sagt Rüther. In seinem Beispiel glimmen holzartige Pflanzenbestandteile. „Es ist ein extrem langsamer Vorgang, kann sich über Stunden hinweg ziehen“, erklärt er den Vorgang, der zur Einstufung „normal entflammbar“ führte. „Ja es brennt, ja es glimmt, aber es ein sehr langer Prozess, mit dem wir umgehen können“, betonte Rüther.
Um herauszufinden, wie natürliche Rohstoffe auf Feuchtigkeit reagieren, sollte es auf der Baustelle regnen oder schneien untersuchten die Forscher rechnerisch und experimentell anhand dem Einbau nasser Balken und der Auswirkung auf die gesamte Konstruktion. Als Orientierung wurde das Verhalten von Mineralfaserdämmung herangezogen, die keine Feuchte im Kern speichern kann und überall erlaubt ist. Das Ergebnis auch hier: die natürlichen Fasern verhalten sich nicht schlechter als normativ geregelte Stoffe, führte Rüther aus. Dämmstoffe puffern in den Fasern die Feuchtigkeit, hob er auf die Besonderheit ab. Baupraktisch und im Vergleich zur Mineralfaserdämmung gebe es de facto keinen Unterschied. Pflanzliche Dämmstoffe verhielten sich daher tendenziell deutlich positiver aufgrund ihrer Sobsortionsfähigkeit. Punktförmig injiziertes Wasser in Dämmstoffen – natürlich wie mineralisch – zeigten in der dreidimensionalen Verteilung, wie Wasser zum Beispiel von Stroh aufgesogen wurde während das Wasser sich bei der Glaswolle auf der Schwelle sammelte. So lautet das Fazit Rüthers, das natürliche Dämmstoffe zwar empfindlich gegenüber Nässe sind, das aber nicht zu Problemen führe. „Die Verwendung diffusionsoffener, sorptionsfähiger Dämmstoffe führt zu sicheren und schadenstoleranten Konstruktionen“, so seine Kernaussage.
Zukunftsfähiges Material für zukunftsfähiges Bauwesen
Ein weiteres Resultat der Untersuchungen ist, dass Berechnungen kaum Differenzen zu den Ergebnissen der Versuche aufwiesen. „Wir können ganz viel rechnen“, wagte Rüther den Vorstoß den Prüfaufwand in Frage zu stellen beziehungsweise die Vorgehensweise umzukrempeln. Letztlich ist Rüther sicher: „In der Zukunft werden nachwachsende Rohstoffe deutlich mehr Anwendung finden.“
Anne Leipold