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Kritik an Regeln zum Eigenverbrauch

Strommarktregeln taugen nicht für Energiespeicher

Ingo Stadler: Energiemarkt per Strombörse ist inadäquat. © Eurosolar

Die Organisation des Energiemarkts über die Strombörse sei inadäquat, so Ingo Stadler, Professor an der FH Köln.

Ort: Berliner NRW-Landesvertretung. Mitte Januar 2013. Eurosolar hat unter dem Stichwort "Speichertechniken" zum Parlamentarischen Abend geladen. Mehrere hundert Gäste hören den Vortrag des Kölner FH-Professors Ingo Stadler. Die meisten dürften entsprechend dem angekündigten Thema mit eher techniklastigen Ausführungen über Speicher gerechnet haben. 20 Minuten lang erfüllt der Referent Ingo Stadler diese Erwartung. Aber dann sagt er den entscheidenden Satz, der für volle Aufmerksamkeit sorgt: "Eigentlich war die Art und Weise, wie wir den Energiemarkt über die Strombörse organisieren, schon immer inadäquat."

Für erneuerbare Energieversorgung im Allgemeinen und Energiespeicherung im Besonderen halte er die Marktregeln in der Stromwirtschaft sogar für "völlig inadäquat". Ab da lässt Stadler kein gutes Haar an althergebrachten – und scheinbar alternativlosen – fundamentalen Regeln auf Strom-Teilmärkten. Zum Beispiel sei am Spotmarkt der stündlich bestimmte Preis nach den Betriebskosten des teuersten einspeisenden Kraftwerks (Merit-Order-Mechanismus) untauglich, um Erneuerbaren-Strom und Energiespeicher zu integrieren.

Zwar hat Stadler im Juniheft 2012 der Eurosolar-Zeitschrift "Solarzeitalter" über die "Einführung von Speichern in die Energiewirtschaft" geschrieben, doch dieser Aufsatz ist nicht deckungsgleich mit dem Vortrag, und in einem wichtigen Punkt – der Frage "EEG für Speicher?" ist Ingo Stadler umgeschwenkt: Lehnte er diese Idee in seinem Aufsatz noch ab, hält er sie inzwischen für "vielleicht gar nicht so schlecht".

Stadler kritisiert sowohl die alte als auch die aktuelle Fotovoltaik-Eigenverbrauchsregelung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Bei beiden werde mit dem "Haus" der falsche Bilanzkreis optimiert. Bei Sonnenschein und Windflaute zum Beispiel führe das dazu, dass Betreiber von PV-Anlagen ihren Strom im Akku speicherten, statt ihn ins Netz einzuspeisen. Dadurch würden alte Kohlekraftwerke wieder ans Netz gehen. Das könne nicht Ziel einer von der Allgemeinheit der Stromverbraucher geförderten Speichereinführung sein. Ein sinnvoller Bilanzkreis sei vielmehr "Deutschland", was aber nicht gegen den europäischen Stromaustausch spreche. Und: "Wenn 'Speicher-EEG' – bitte kein Eigenverbrauchsbonus."

Viel verspricht sich Stadler von einer Zusammenlegung der Teilmärkte für Primärreserve, Sekundärreserve und Minutenreserve. "Ein Batteriespeicher zum Beispiel kann in allen drei Zeitbereichen aktiv sein. Wieso sollte man diese drei Märkte nicht zu einem einzigen 'Speichermarkt' vereinigen?" Das würde konventionelle Kraftwerke automatisch ausschließen, da sie nicht unmittelbar abrufbar seien. Energiespeichern würde das ein attraktives Marktsegment eröffnen, das sie ohne weitere Förderung erschließen könnten.

Aber auch eine Finanzierung mit einem sogenannten "Kapazitätsmarkt" hält Ingo Stadler für sinnvoll. 2003 bis 2005 war er als Gastdozent in Brasilien. "Die dortige Energieplanungsbehörde EPE entwickelt möglichst langfristige Pläne für die Entwicklung der Erzeugungs- und Speicherkapazität. Die Regulierungsbehörde ANEEL schreibt die Kapazitäten mit detaillierten Spezifikationen aus und das Konsortium, das zum Beispiel für die nächsten 20 Jahre die günstigsten Stromgestehungskosten garantiert, erhält den Zuschlag."

Die Rolle der EPE, die den zukünftigen Speicherbedarf nach Leistung, Kapazität, Zeitbereich und örtlicher Verteilung ermittelt, könne in Deutschland eine zu gründende "energieplanende Institution" übernehmen – aber auch eine "Vergabe von Aufträgen an die wissenschaftlichen Institutionen" komme in Frage. Ob Stadler dabei zum Beispiel an die FH Köln denkt, sagte er nicht.

"Ein Regulierer (das könnte die Bundesnetzagentur sein) schreibt den Speicherbedarf zwar mit zu erfüllenden technischen Kriterien aus, nicht aber die einzusetzende Technologie." Das sei genauso wenig "Planwirtschaft", wie wenn ein Hersteller die Anordnung der Elemente eines Computerchips plane, sondern "lediglich eine andere Art und Weise, Wettbewerb zu organisieren."

Glaubt man Stadler, dann "wäre jeder andere Marktmechanismus für Energiespeicher nicht zielführend", ja "vollkommene Idiotie". Denn am Spotmarkt könne ein Speicher nur dann Geld verdienen, wenn er möglichst viele Zyklen durchfahre. Und jeder Zyklus, der von der Systemstabilität her nicht erforderlich sei, verursache unnötige Verluste. Aber auch Kapazitätsmärkte für konventionelle Kraftwerke – solche fordert zum Beispiel der Bundesverband neuer Energieanbieter (bne) für Gaskraftwerke – kann sich Stadler unter bestimmten Bedingungen vorstellen.

Für die Langzeitspeicherung mit Wasserstoff, Methan oder auch Ethanol sehe die Situation "komplett anders aus". Da diese der Versorgungssicherheit dienten, müssten sie sich überhaupt nicht an einem Markt, an welchem auch immer, behaupten. Nach dem Vorbild der 1978 als Reaktion auf die Ölkrise vorgeschriebenen "strategischen Ölreserve" solle in einem "Strombevorratungsgesetz" jedem, der jährlich mindestens 1 GWh Strom gewinnt oder importiert, ein Vorrat von Wasserstoff oder Ähnlichem für mindestens 90 Tage vorgeschrieben werden.

Vieles an Stadlers Thesen ist offenbar neu oder doch zumindest originell begründet – das haben mehrere Experten am Rande des Parlamentarischen Abends bestätigt. In der Fachwelt schon seit einiger Zeit diskutiert werden dagegen die Themen "Kapazitätsmärkte" und "strategische Reserve".

Aber wie stichhaltig ist die Argumentation? Zwei Tage nach dem Eurosolar-Abend: Rund 1.000 Gäste schieben sich beim Jahresempfang des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE) durch ein Hotel in der Berliner Friedrichstraße. Eine Gelegenheit, im Laufe des Abends gut ein Dutzend Experten auf Stadlers Ideen anzusprechen. Doch lediglich zwei davon kennen den Kölner Professor überhaupt. Beide finden seine Thesen zwar interessant, weisen aber unabhängig voneinander auf eine eingängige, nach ihrer Einschätzung jedoch fragwürdige Gleichsetzung von Strommarkt und Automarkt hin, die Stadler in seinen Vorträgen verwendet, um die Absurdität der heutigen Marktregeln zu illustrieren.

In einem Diagramm werden die von der Autoindustrie angebotenen Modelle – Luxus- bis Kleinwagen – analog der Einsatzreihenfolge von teuren bis billigen Kraftwerken dargestellt. Nun trete, so Stadler, Folgendes auf: "Leider hat Ferrari die Merit Order nicht gepackt, das heißt, Sie können sich 2013 keinen Ferrari kaufen. Sie kriegen Ihren VW-Polo, aber Sie müssen dann eben den Preis für einen S-Klasse-Mercedes bezahlen. Fiat wird automatisch die weltweit profitabelste Automarke in 2013." Dieser plastische Vergleich legt dem Zuhörer nahe, billig produzierter Strom werde teuer verkauft.

Die Fachleute, beide Erneuerbaren-Anhänger, sehen darin eine Übervereinfachung. Hier ist also durchaus Skepsis angebracht. Aber den richtigen Riecher für nachgefragte Themen hat Stadler unbestreitbar. Am 6. Februar bietet der bne in Essen eine Tagung an, die ein "Gesamtkonzept für ein stimmiges Marktsystem" verheißt. Die Strommärkte könnten zum Energiethema des Jahres 2013 werden.

von Alexander Morhart / pgl

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