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Photovoltaikanlage maßschneidern statt Dach vollmachen

Mieterstrom ist die neue Einspeisevergütung

Gassner: Mieterstrom wird derzeit abgewürgt. © Alexander Morhart

Die Nutzung von Mieterstrom ist immer noch mit vielen rechtlichen Unsicherheiten behaftet.

Alles könnte so einfach sein: Hausbewohner betreiben gemeinsam eine Photovoltaikanlage oder ein Blockheizkraftwerk (BHKW) und nutzen diesen Strom selbst, ohne ihn durch das öffentliche Netz zu leiten. Aber jetzt kommt der Staat dazu und regelt das mit einem "Dschungel von Begriffen", so der Rechtsanwalt Hartmut Gaßner auf den Berliner Energietagen.

Und das geht so: Wenn Betreiber und Stromnutzer - juristisch - dieselben sind, ist das "Eigenversorgung". Dann müssen sie zurzeit 35 Prozent der EEG-Umlage zahlen; ab Januar 2017 dann 40 Prozent. Sind es aber nicht dieselben, ist es keine Eigenversorgung;100 Prozent der Umlage fallen an. Und juristisch sind sie bereits dann nicht dieselben (nicht "personenidentisch"), wenn sie zum Beispiel die Anlage als Wohnungsgenossenschaft betreiben, aber als Einzelpersonen den Strom nutzen.

Ein paar Ausnahmen gibt es auch - doch diese kommen in der Praxis kaum vor. Zwar könnte jeder einzelne Mieter einen Teil der Photovoltaikanlage pachten. Das sei aber rechtlich mit Risiken und zusätzlichem Aufwand verbunden und für kleinere Projekte "schlicht zu kompliziert", sagte Gaßner.

Modell Mieterstrom kann funktionieren

Dass das Modell Mieterstrom trotz "Abwürgregelung" (Gaßner) dennoch funktionieren kann, zeigte Nicolai Ferchl von der Heidelberger Energiegenossenschaft. Denn zwar müsse EEG-Umlage gezahlt werden, es entfielen aber die Stromsteuer und die netzgebunden Kosten: Netznutzungsentgelt, KWK-Umlage und Konzessionsabgaben. Eine Kilowattstunde (kWh) Strom von einer Photovoltaikanlage mit 50 Kilowatt installierter Leistung könne so, Stand Januar 2016, etwa 4 Cent billiger sein als Netzstrom - je nach Vergleichstarif. Direkt im Haus könne rund 20 bis 50 Prozent des Stroms genutzt werden.

Hartmut Gaßner hatte in seinem Vortrag einen Preisvorteil von 2 bis 4 Cent/kWh genannt. Andreas Irmer von den seit Oktober 2015 agierenden Berliner Stadtwerken drückte den Preisvergleich für seine Mieterstromprojekte als Verhältnis aus: "Wir liegen derzeit 10 bis 15 Prozent unter dem Grundversorgertarif."

Entscheidend ist die Teilnehmerquote

Die entscheidende Größe für die Wirtschaftlichkeit sei die Teilnehmerquote (auch "Beteiligungsquote"), sagte Luise Neumann-Cosel von der Genossenschaft Bürgerenergie Berlin. Welcher Anteil der Mieter tatsächlich mitmache, hängt wiederum nach Nicolai Ferchl vor allem davon ab, ob es um einen Neubau oder ein bestehendes Haus geht.

In einem Altbau komme man meist auf 30 bis 50 Prozent der Bewohner, während in einem Neubau "sehr oft 100 Prozent erreicht werden". Letzteres bestätigte Ingrid Vogler vom Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) und berichtete von einer Genossenschaft in München, wo die Photovoltaikstrom-Lieferung für die ersten zwei Jahre bereits Bestandteil des Wohnungsnutzungsvertrages sei.

Bei Bestandsbauten könne man nach der Rechtsform differenzieren: Während bei Wohnungsgesellschaften 10 bis 60 Prozent Teilnehmerquote erreicht würden, seien es bei Genossenschaften typischerweise 70 bis 90 Prozent.

EEG reicht als Anreiz nicht

Umstritten war zunächst die Frage, ob man bei einem Mieterstromprojekt lieber die nutzbare Dachfläche mit Solarmodulen "vollmachen" oder die Modulfläche an der voraussichtlichen Stromabnahme im Haus selbst orientieren solle. Luise Neumann-Cosel nahm den Zuhörern hier schließlich alle Illusionen, zumindest was die Lage in einer Großstadt wie Berlin angeht. Sogar als Genossenschaft mit geringen Renditeanforderungen könne man auf einem Bestandsgebäude eine Photovoltaikanlage über die EEG-Vergütung nicht mehr wirtschaftlich umsetzen. Angesichts hoher Gerüstkosten wäre so etwas ein Zuschussgeschäft.

Das (geplante) Geschäftsmodell ihrer Energiegenossenschaft beschrieb Neumann-Cosel so: Eine Wohnungsgenossenschaft verpachtet die Dachfläche an die Genossenschaft Bürgerenergie, die die Photovoltaikanlage finanziert und baut, sie dann aber ihrerseits an die Elektrizitätswerke Schönau (EWS) verpachtet. Den Strom liefere die Genossenschaft Bürgerenergie "in einer Art Koproduktion" mit den EWS. So müsse man die energiewirtschaftlichen Prozesse nicht alleine stemmen.

Als erstes Objekt hat man sich einen Plattenbau mit rund 16.000 m² Wohnfläche vorgenommen, auf dem 160 Kilowatt Photovoltaik installiert werden sollen.

Gesetzliche Planungssicherheit fehlt

Was hindert die Wohnungswirtschaft hauptsächlich daran, Mieterstrom anzubieten? Ingrid Vogler verwies auf eine Umfrage, nach der die Menge und Komplexität der gesetzlichen Anforderungen ein wichtiger Grund sei und, mehr noch, die mangelnde Planbarkeit derselben: "Da kommt nochmal schnell eine neue Meldepflicht aus dem Nichts - es wird so komplex, dass kaum noch einer komplett durchdringt." Und bei der Rechtspraxis des Gewerbesteuergesetzes widersprächen sich seit elf Jahren Finanzverwaltung und Bundesumweltministerium gegenseitig.

Konkret kann das heißen, dass das Finanzamt von einer Wohnungsgesellschaft, die ihren Mietern Strom liefert, plötzlich viel mehr Gewerbesteuer verlangt. In diesem Stadium aber ist es zu spät, um ein solches Projekt noch zu stoppen: "Ein Zurück gibt es dann in der Regel eigentlich nicht mehr" (Andreas Irmer).

Angesichts solcher Rahmenbedingungen mag es nicht verwundern, dass die GdW-Expertin nach heutigem Stand dem Modell Mieterstrom nur ein sehr begrenztes Potenzial zutraut. Vogler schätzt, dass in den kommenden 10 bis 15 Jahren 20 Prozent der Mietwohnungen in Mehrfamilienhäusern für Mieterstrom in Frage kämen. Das entspreche einem Potenzial von 3,4 Terawattstunden pro Jahr, "weniger als 1 Prozent des Stromverbrauchs in Deutschland".

Aus Sicht des GdW machte Ingrid Vogler eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen. Am Anfang aber müsse eine brauchbare gesetzliche Definition stehen: Mieterstrom solle zukünftig der "Verbrauch von Strom durch Letztverbraucher mit einem Jahresverbrauch bis zu 6.000 kWh" sein. Auch für die politische Begründung nahm Vogler kein Blatt vor den Mund: "Mieter sind innerhalb der Energiewende diejenige Gruppe, die bislang am wenigsten tun kann, nicht gefördert und am meisten belastet wird." von Alexander Morhart 

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