Quelle: DEUTSCHE ROCKWOOL

Zahlreiche Projekte sollen Beispiele geben

Bottrop glänzt mit hoher Sanierungsquote

450.000 Euro flossen in die Sanierung dieses Vivavest-Mehrfamilienhauses. © InnovationCity Management GmbH

In der InnovationCity Bottrop werden jährlich acht Prozent aller Gebäude energetisch saniert.

Bottrop. Kaum ein Name klingt so sehr nach der Pütt. "Bottrop ist keine schöne Stadt", sagte Umweltministerin Barbara Hendricks bei der Green-Economy-Konferenz 2014 in Berlin. Und korrigierte wegen des leisen Gelächters der Zuhörer: "Bottrop ist eine ganz normale Stadt." Doch Bottrop hat etwas, das andere nicht haben: Acht Prozent aller Gebäude wurden zwischen 2012 und 2013 energetisch saniert. Das ist außergewöhnlich viel. Der Bundesdurchschnitt beträgt weniger als ein Prozent. Wenn das Tempo nicht bald steigt, sind Deutschlands Häuser erst in 100 Jahren durchsaniert. Doch bis 2050 soll der Primärenergiebedarf von Gebäuden um 80 Prozent gesunken sein. Um das zu erreichen, müsste die Sanierungsrate verdoppelt werden.

Wie macht es Bottrop? Das Wunder ist nicht vom Himmel gefallen. Die Stadt ist so gut, weil sie eine InnovationCity ist. 2010 hatte Bottrop einen Wettbewerb des Initiativkreises Ruhr um diesen Titel gewonnen. Mitglied des Kreises sind die 60 größten Unternehmen des Ruhrgebiets. Ihre Idee war, eine Stadt klimagerecht umzubauen, ihre Lebensqualität zu steigern und gleichzeitig die Industrie zu erhalten.

Bottrop setzte sich gegen 16 andere Kommunen durch. Nun lautet das konkrete Ziel, die Kohlendioxid-Emissionen bis zum Jahr 2020 zu halbieren. Zum Vergleich: Das Gesamtziel der Bundesrepublik für 2020 beträgt 40 Prozent. Um den ehrgeizigen Plan umzusetzen, hat Bottrop einen ganzen Strauß von Initiativen aufgelegt. Herzstück sind Energieberatungen für Mieter und Hausbesitzer. 1.600 davon gab es seit Gründung der Projektmanagement GmbH, die alle Aktivitäten koordiniert.

"Fast jede Stadt hat solche Beratungen", sagt Rüdiger Schumann, Kommunikationschef der InnovationCity. "Was uns auszeichnet ist, dass ein Haus komplett aufgenommen wird und sämtliche Fördermöglichkeiten komplett ausgerechnet werden. Außerdem klären die Berater, welche der möglichen Sanierungsschritte gemeinsam besonders viel Sinn machen." "Die Bürger möchten gut beraten sein, damit sich eine energetische Sanierung rechnet", sagt die Projektentwicklerin Nina Schult. "Privatpersonen sind vollkommen überfordert mit dem Thema. Sie brauchen eine Anlaufstelle, die permanent dranbleibt", sagt sie.

Dass es so eine Beratung in Gestalt der Projektmanagement GmbH gibt, hat sich inzwischen herumgesprochen. "Wir sind jetzt seit fünf Jahren dabei und es wird immer einfacher zu kommunizieren. Das Projekt ist bekannt und es ist Vertrauen entstanden", sagt Rüdiger Schumann. Nun machen die Bürger auch bei ungewöhnlichen Aktionen mit und lassen sich auf neue Technologien ein. So hat die Stadt 100 kleine Anlagen zur Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) vergünstigt angeboten. Sie stehen in Bottroper Ein- und Zweifamilienhäusern und werden unter wissenschaftlicher Beobachtung über mindestens zwei Heizperioden betrieben und getestet. Auch mehrere Plusenergiehäuser, die mehr Energie erzeugen, als sie verbrauchen, gibt es jetzt in Bottrop.

Im April eröffnete die Gesellschaft für Bauen und Wohnen Bottrop ein neu errichtetes Plusenergiehaus im geförderten Mietwohnungsbau – nach eigenen Angaben das erste bundesweit. Sehr selten ist bisher der Umbau von bestehenden Gebäuden zu Plusenergiehäusern. In Bottrop gibt es zwei davon: In ein Mehrfamilienhaus des Wohnungsunternehmens Vivawest aus den 60er Jahren flossen 450.000 Euro für Dämmung und Verglasung, eine erdwärmebetriebene Wärmepumpe, eine Lüftung mit Wärmerückgewinnung, Fotovoltaikmodule an der Giebelwand und auf dem Dach sowie die Hausautomatisierung.

Zur Eröffnung teilte das Bauministerium mit, dass es an der Entwicklung eines neuen Standards "Effizienzhaus Plus" arbeite. Er könne sich demnächst als neuer Spitzenstandard mit entsprechender KfW-Förderung etablieren. Beim zweiten Umbau zum Plusenergiehaus handelt es sich um ein Geschäftshaus. "Hier wurde alles eingebaut, was geht. Es sollte ein Leuchtturm sein", berichtet die Architektin Anna Vering. Sie ist beim Besitzer des Hauses, dem Planungsbüro Oliver Helmke, angestellt. Von Bayer kam ein hocheffizienter Dämmstoff aus Polyurethan. Die Deckenheizungen können im Sommer kühlen, die Lamellen in den Fenstern verschatten Licht oder leiten es an die Zimmerdecke. Es gibt Leuchten, die Tageslicht über ein Glasfaserkabel in die Räume lenken und ein kleines Windrad auf dem Dach. "Wir wollten zeigen, was man machen kann, wie man es macht und dass man keine Angst davor haben muss", sagt Anna Vering.

Die enge Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, wie sie die InnovationCity an vielen Stellen übt, stieß bei diesem Projekt allerdings an ihre Grenzen. Zuerst wollten viele aus dem Bayer-Netzwerk EcoCommmercialBuilding die Sanierung des Hauses sponsern. "Als es hart auf hart kam, war es leider nicht mehr so der Fall", berichtet Anna Vering. Als nice to have, aber verzichtbar stellten sich die Tageslichtleuchten und das Windrad heraus.

Empfehlenswert findet die Architektin, große Verbraucher mit einzelnen Stromzählern auszustatten, etwa die Kühltheken der Eisdiele, die das Erdgeschoss gemietet hat. Die Erfahrungen, die die Planer mit dem Gebäude machten, werden jetzt von der InnovationCity weitergetragen, zuletzt bei der Messe Metropolitan Solutions in Berlin.

"Das ganze Konzept war von Anfang an als ein übertragbares gedacht", berichtet Rüdiger Schumann. Gerade hat er Gespräche in Bottrops Nachbarstadt Essen geführt. Dort liegt das schöne, aber etwas heruntergekommene Eltingviertel zwischen Park und Universität. Es soll mit den Bottroper Erfahrungen zu einem nachhaltigen Stadtquartier entwickelt werden.

Mit solchen Vorhaben leistet die InnovationCity auch einen Beitrag zum Strukturwandel im Ruhrgebiet. "240 Millionen Euro Investitionen sind nur aufgrund der Projekte geflossen. Das ist natürlich ein guter Nebeneffekt", sagt Rüdiger Schumann. Doch nicht alle deutschen Städte könnten das gleiche tun wie Bottrop. Jedenfalls nicht mit den vorhandenen Fördermitteln. "Wenn alle so viel Geld beantragen würden wie Bottrop, würden die Mittel der KfW nicht reichen", sagt Barbara Hendricks bei der Green-Economy-Konferenz.

Wie nah Bottrop seinem selbst erklärten Ziel ist, der Halbierung des Kohlendioxid-Ausstoßes, bleibt unterdessen noch offen. Das Wuppertal Institut und das Fraunhofer UMSICHT in Oberhausen evaluieren das Projekt und schreiben gerade an einer Halbzeitbilanz. Sie soll im Spätsommer veröffentlicht werden. Die InnovationCity aber ruht nicht und zieht schon wieder den nächsten Pfeil aus dem Köcher. Zusammen mit Emscher Lippe Energie hat sie das Projekt "100 Wärmepumpen Plus" entwickelt. Eingebunden ist wie immer auch die Wirtschaft in Gestalt von Herstellern und örtlichen Elektrofachbetrieben. 100 Eigentümer von Ein- und Zweifamilienhäusern können in Genuss eines "exklusiven und limitierten Angebots- und Förderpakets" mit einer Wärmepumpen- und Fotovoltaik-Komplettlösung kommen. Das macht schon wieder eine ganze Menge CO2 weniger. Von Susanne Ehlerding

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