Miethöhe soll bleiben / Abriss billiger als Sanierung

XXL-Passivhaus in Berlin wird teurer als erwartet

Debatte im Ladenlokal der Möckernkiez-Genossenschaft. © Alexander Morhart

Das größte deutsche Passivhaus ist derzeit in Berlin in Planung. Statt Aufstockung hat sich die Genossenschaft mittlerweile für den Abriss alter Bausubstanz entschieden.

Seit gut vier Jahren arbeitet eine genossenschaftlich organisierte Baugruppe von inzwischen rund 1.000 Menschen auf eine große Passivhaus-Siedlung im Berlin-Kreuzberger Möckernkiez hin. Die sozialen und ökologischen Ziele des Projekts sind unverändert - Anpassungen gibt es dagegen beim Energie- und Verkehrskonzept und bei der städtebaulichen Struktur. Außerdem musste der Zeitplan gestreckt werden - mit Folgen für die Kosten.

Statt nach der ursprünglichen Planung für einen Teil der Gebäude wird nun für die gesamte Siedlung nicht nur Passivhaus-, sondern Plusenergiehaus-Standard angestrebt - sie soll also übers Jahr mehr Energie gewinnen als von außen beziehen.

Dazu will Aino Simon vom Vorstand der Genossenschaft "so viel Fotovoltaik wie es geht auf die Dächer bringen". Außerdem soll "ein Großteil der Wärme mit einem Wärmetauscher aus dem Abwasserkanal gezogen werden." Für diese Technik gebe es in Berlin bereits zwei erfolgreiche Beispiele. Die Gründung einer separaten Energiegenossenschaft wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. "Das wäre im Moment viel zu viel Arbeit", sagt Simon. Stattdessen kooperiere das Projekt bis auf weiteres mit der Naturstrom AG.

Ganz verworfen hat die Möckernkiez eG die ursprüngliche Idee einer Grauwassernutzung. Lediglich Regenwasser soll verwendet werden. Auf eigene Faust organisieren will Aino Simon die gemeinschaftliche Autonutzung. "Wir wollen in einer Servicegesellschaft ein elektronisches Abrechnungssystem entwickeln. Das würden wir dann den Autoteilergruppen zur Verfügung stellen, die sich weitgehend selbst organisieren - und zwar ohne eine Carsharing-Firma dazwischen, die daran nochmal verdient."

Doch nicht nur technisch gibt es Änderungen gegenüber der ursprünglichen Planung. Auch städtebaulich mussten die Möckernkiezler umdenken. Inzwischen ist klar, dass auf dem drei Hektar großen ehemaligen Güterbahnhofsgelände doch keines der alten Gebäude stehen bleiben und um drei Etagen aufgestockt werden soll. Genau das war der Genossenschaft Möckernkiez zunächst geraten worden.

 

Aino Simon"Das wäre sehr teuer geworden, und der Wohnraum, der darin entstanden wäre, war auch tatsächlich nicht so attraktiv", sagt Aino Simon. Im Herbst 2012 sollen die nun überflüssig gewordenen Gebäude abgerissen, das Baufeld von Gleisen und Rampen befreit und die Baugruben ausgehoben werden. Für Sommer 2013 ist der Beginn des Hochbaus geplant, für 2014 die Fertigstellung. Die durch die Umplanung verursachte Verzögerung von einem Dreivierteljahr sei "sehr schmerzhaft und auch teuer" gewesen.

Im Mai 2011 hatte Simon die Kosten für die Wohngebäude noch mit rund 70 Millionen Euro angegeben, jetzt sind es 80 Millionen. Zusammen mit den Anteilen für Hotel, Tiefgarage und so weiter waren zunächst insgesamt 90 Millionen Euro veranschlagt. Daraus sind nun 103 Millionen Euro geworden. Aino Simon zu den Ursachen: "Wir mussten manche Planungsschritte wiederholen, müssen sowohl die Verwaltungskosten der Genossenschaft als auch die der Projektsteuerung länger bezahlen - und die Inflation tut ihr Übriges dazu." Am zukünftigen monatlichen Nutzungsentgelt von durchschnittlich 10,00 Euro/m² Wohnfläche einschließlich der Betriebskosten will Simon dennoch festhalten.

Ohne die Fesseln der alten Gebäudestruktur konnten die Planer von einer langen, straßenparallelen Blockrandzeile Tiefe wegnehmen und dieses Bauvolumen in kammartige Seitenflügel verschieben. Unter dem Strich ist etwas mehr Gesamtfläche herausgekommen. Dadurch und durch eine Verringerung der durchschnittlichen Fläche bei allen Wohnungsgrößen stieg die geplante Zahl der Wohnungen von 400 auf jetzt 430. Dagegen soll das Hotel statt 100 nur noch 80 Betten haben.

Einen Kummer ist das Projekt seit kurzem los: Lange hatte es so ausgesehen, als kämen die Möckernkiezler nicht an Geld aus dem KfW-Programm 134 heran, das genossenschaftliche Einlagen fördert. Eigentlich sollen die Mittel von der Hausbank durchgeleitet werden. "Das Problem ist nur: Keine Hausbank macht das", sagt Aino Simon. "Ich habe bestimmt 15 Banken angefragt. Und von Sparkasse bis Volksbank - alle haben sie das abgelehnt." Inzwischen habe die KfW jedoch in Aussicht gestellt, die Genossenschaftler zu unterstützen.

Das Projekt durch externe Werbung bekanntmachen zu müssen, ist ein Problem, das Möckernkiez eG schon lange nicht mehr hat. "25 große Veranstaltungen haben wir bestimmt gemacht, immer mit 300 bis 500 Menschen, die dann kommen." Die Schwierigkeit für Aino Simon ist eher, den Ansturm von Besuchswilligen zu bewältigen. "Wir könnten wöchentlich zwei, drei Besuchergruppen empfangen. Wir kriegen sehr, sehr viele Anfragen - auch von Universitäten, mit ihren Studierenden zu kommen. Wenn wir das alles annehmen würden..."

Es gebe auch Anfragen von Gruppen: "Können wir nicht unter euer Dach schlüpfen, könnt ihr nicht unser Projekt machen?". Derzeit sei das kein Thema - perspektivisch aber genauso denkbar wie weitere eigene Projekte. Aktuell sind Simon und ihre nach wie vor nur zwei Vorstandskollegen jedenfalls mehr als ausgelastet: Obwohl alle Wohnungen vergeben sind und niemand mehr in die Anwartschaft aufgenommen werden kann, treten der Genossenschaft immer noch Leute bei.

Nur mit dem "Interkulturellen" klappt es nicht so recht. Aino Simon hat versucht, auch nichtdeutsche Familien zu werben, aber das sei schwierig: "Die türkischen Nachbarn, die sich das leisten könnten, bei uns mitzumachen, sind anscheinend eher an Eigentum interessiert. Und neulich hatte ich eine asiatische Frau, die schon Genossenschaftsmitglied war, aber dann gesagt hat: 'Ich fühle mich nicht wohl. Es ist zu deutsch.' Es wird also leider eine recht deutsche Siedlung."
von Alexander Morhart unter Mitarbeit von Alina Kulikova, Janina Reichmann

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