Quelle: DEUTSCHE ROCKWOOL

Versteckspiel um Energiewerte beim Berliner Effizienzhaus Plus

Messdaten wecken Zweifel am Plusenergiehaus-Konzept

Die externe Lithium-Ionen-Batterie (rechts) macht eine Klimatisierung des Akkus nötig und erhöht so den Strombedarf. © Alexander Morhart

Bildschirmkopien von bmvbs.de in der ursprünglichen Aufteilung des Strombedarfs (oben) und am 21. April 2013 (unten). © BMVBS / Fraunhofer IBP

Das Berliner Effizienzhaus Plus ist offenbar nicht so gut, wie es der Öffentlichkeit dargelegt wird. An belastbare Messergebnisse zu kommen ist schwierig.

Beim presseoffenen Workshop des Bundesbauministeriums Ende November 2012 hatte noch alles ziemlich gut ausgesehen. Fraunhofer-Experte Hans Erhorn schilderte technische Details und erste Messergebnisse von deutschlandweit neun Modellhäusern, in denen übers Jahr mehr End- und Primärenergie gewonnen werden soll, als für deren Wärme- und Strombedarf nötig ist. Ministerialrat Hans-Dieter Hegner führte stolz das Berliner Haus vor und sagte, die Messdaten würden offen im Internet angezeigt – jeder könne die Ergebnisse sehen, auch wenn sie schlecht sein sollten. Vier Monate später: In einer Pressemitteilung des Ministeriums über das Berliner Modellhaus sieht immer noch alles gut aus – aber eben nur dort.

Daten zur Energiebilanz enthält die Mitteilung nicht, nur einen Verweis auf eine Regierungswebseite. Dort erscheint unter dem Link "Messdaten" nach einer Minute Ladezeit eine große leere Fläche mit der Überschrift "Stromkreislauf". Klickt man sich weiter zu "Energiebilanz", so werden auch keine Zahlen angezeigt, aber immerhin 18 schlecht aufgelöste Schaubilder. Wer den Aufwand nicht scheut, kann sich also dort die nötigen Grafiken heraussuchen, die ungefähren Werte mit Hilfe eines Lineals interpolieren und die interessierenden Angaben gegebenenfalls mit dem Taschenrechner ermitteln.

Die Ergebnisse sind der Mühe wert – sie haben es in sich. Statt wie geplant 16.625 kWh lieferte die Fotovoltaikanlage im ersten Messjahr nur etwa 13.300 kWh. Und statt der erwarteten knapp 7.000 kWh verbrauchte das Haus eine elektrische Energie von mindestens 12.000 kWh. Der magere Ertrag aus den Solarzellen wird vielleicht im laufenden Jahr wieder gutgemacht, denn 2012 schien die Sonne seltener als in einem durchschnittlichen Jahr. Sorgen müssen sich die Verfechter des Hauskonzepts aber wegen des zweiten Ergebniswerts machen. Das Effizienzhaus geht mit elektrischer Energie so ineffizient um, dass sogar das Plus in Frage gestellt ist.

Zumindest war der Energieüberschuss nach dem Verfahren in Frage gestellt, mit dem das Ministerium im Jahr 2012 den Strombedarf in "Hausverbrauch" und "Außenbeleuchtung/Infoquelle" aufteilen ließ. Eine solche Aufteilung ist sinnvoll, weil die nächtliche Festbeleuchtung und Bildschirmwerbung, mit denen Modellhaus und Elektroautos für Berliner Passanten in Szene gesetzt werden, im Alltag zukünftiger Normalhäuser wegfallen würden. Nach dem ursprünglichen Verfahren drohte aber kurz vor dem Ende des ersten Messjahrs die rote Kurve des real niedrigeren Fotovoltaikertrags <link fileadmin user_upload bauen_und_sanieren daemmung_fenster_fassade grafiken messergebnisse_bmvbs_amo.pdf _blank zum>unterhalb der blauen Summenkurve des real höher ausgefallenen Strombedarfs zu enden. Seit kurzem werden die Schaubilder mit einer anderen Aufteilung erstellt. Sieben stromaufnehmende Bauteile wurden aus dem "Hausverbrauch" herausgerechnet und in die Rubrik "Außenbeleuchtung/Infoquelle" verschoben, die seitdem "Projektspezifisch" heißt.

Nach dem neuen Verfahren liegt die rote Kurve über der blauen: "Das Haus liegt deutlich im Plus". Ist das so? Waren die sieben Bauteile im ersten Dreivierteljahr nicht projektspezifisch, und wenn nicht, warum sollen sie es jetzt sein? Bei Posten wie der Abflussrohr-Begleitheizung kann man argumentieren, im kalten Winter am Kontinentalklima-Standort Berlin müsse das Abwasser eher am Einfrieren gehindert werden als an einem mittleren, milderen Standort. Aber darf ein solcher Posten dann komplett raus aus dem Hausverbrauch – wäre es nicht vielmehr angemessen, nur den Unterschied zwischen einem kalten und einem mittleren Standort abzuziehen? Oder sollte man im Gegenteil sogar noch mehr subtrahieren, weil an einem mittleren Standort ja das Haus selbst auch nicht so stark geheizt werden muss?

Überhaupt nicht gerechtfertigt erscheint jedenfalls das Verschieben des Strombedarfs für Batterie-Heizung und Batterie-Belüftung. Die zum Konzept gehörende Batterie, die den Solarstrom zum Teil speichert, wird in einem mittleren Temperaturbereich gehalten, weil sonst der Wirkungsgrad noch stärker abfiele als ohnehin schon. Das ginge mit weniger Aufwand, wäre der Akku innerhalb des wärmegedämmten Hauses untergebracht – was jedoch gegen geltende Vorschriften verstoßen würde. Lithium-Ionen-Batterien der verwendeten Bauart lassen sich noch nicht zuverlässig gegen Überhitzung schützen, und ein möglicher Brand soll wenigstens nicht im Haus entstehen. Man kann hoffen, dass das in Zukunft anders wird. Aber sollte ein Modellhaus nicht den gegenwärtigen Stand der Technik darstellen?

Diese und weitere Fragen hätte EnBauSa.de gerne dem Ministerium gestellt, das jedoch auf einen damit beauftragten Mitarbeiter der Berliner Energieagentur verweist. Eine E-Mail vom 21. März an die angegebene Adresse, mit der wir um ein Gespräch bitten, führt weder zu einer Antwort noch zu einer Fehlermeldung, ebenso zwei weitere Versuche und eine Nachricht ans Ministerium selbst. Das mit den Messungen betraute Fraunhofer-Institut darf ohne grünes Licht von der Energieagentur nichts sagen.

Die vierte Mail am 16. April erbringt immerhin eine automatische Meldung, dass es mit dem Postfach effizienzhausplus@berliner-e-agentur.de ein Problem gebe. Wir erreichen den Mitarbeiter schließlich am Telefon. Er ist sehr freundlich und erwähnt einen Workshop, der im Januar in München stattgefunden habe. Die Presse wurde zu der als öffentlich bezeichneten Veranstaltung diesmal nicht eingeladen. Aber es gebe eine etwas versteckte Webseite des Ministeriums, von der man die Vortragsfolien herunterladen kann. Diese Seite funktioniert direkt nach dem Telefonat, ist aber schon wenig später ohne Weiterleitung umgezogen. Adresse bei Redaktionsschluss:  www.bmvbs.de/DE/EffizienzhausPlus/Modellvorhaben/Netzwerk/Workshops/artikel_workshop_03.html.

Vortragsfolien sind im günstigen Fall eine Quelle für zusätzliche Informationen, aber sie beantworten keine Nachfragen. Das kann der freundliche Mitarbeiter der Berliner Energieagentur auch nicht. Er sei noch nicht genügend im Thema drin. Aber Antje Bergmann vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP) in Stuttgart könne es. Tatsächlich sollte sich Bergmann in diesem Thema auskennen, hat sie doch beim Workshop in München den Vortrag "Ergebnisse Monitoring" gehalten. Anruf bei Antje Bergmann. Ergebnis des etwas schleppend verlaufenden Gesprächs: Nur Abteilungsleiter Hans Erhorn könne etwas sagen – der sei aber krank und bis Redaktionsschluss nicht mehr zu erreichen. Die Position der Ministeriumsseite zur Energiebilanz des Effizienzhaus Plus muss daher zunächst offen bleiben.

Einer, der sich mit energieeffizienten Häusern auskennt, ist Timo Leukefeld. Er hat als Diplomingenieur 13 Jahre lang solche Häuser geplant und gebaut, lehrt seit 2001 als Honorarprofessor an verschiedenen Hochschulen und hält mehr als 80 Vorträge pro Jahr. Frage an Leukefeld, der zwar nicht an der Fraunhofer-Begleitforschung beteiligt ist, aber immerhin beim Münchner Ministeriums-Workshop als Referent eingeladen war: Warum wohl saugt das Berliner Effizienzhaus Plus so viel Strom aus der Leitung? – "Das Haus hat zu viel Technik, die nur sehr schwer aufeinander abzustimmen ist: kontrollierte Lüftung mit Wärmerückgewinnung, Bussystem, Luftwärmepumpe, mehrere Wechselrichter, verschiedene Steuerungen. Die Geräte für sich genommen sind zwar gemessen an dem, was auf dem Markt ist, effizient, aber haben dennoch einen Eigenstromverbrauch." Leukefeld sieht das Problem schon in der Planung angelegt: "Die Wärmepumpe erreichte nur eine Jahresarbeitszahl von 2,0 – auch weil die Fußbodenheizung eine hohe Vorlauftemperatur von 45 bis 50 Grad vom System anfordert. Hier empfehle ich, die Flächendimensionierung zu prüfen. Durch die großen Fensterflächen des Hauses gibt es im Winter, gerade bei der erlebten geringen Einstrahlung, hohe Wärmeverluste und geringe solare Gewinne. Dann heizt man wohl mit relativ heißem Vorlauf dagegen an."

Timo Leukefeld rät allerdings, nicht innerhalb des vorhandenen Konzepts zu optimieren, sondern für energieeffiziente Häuser einen anderen Ansatz zu wählen: "Solarthermie für den Wärmebedarf, PV als Edelenergie für Haushaltsstrom nutzen." Spätestens seit der Entwicklung bei zwei wichtigen Eingangsgrößen – viel geringere Einspeisevergütung für Fotovoltaikstrom, immer teurerer Strom aus dem öffentlichen Netz – erweise es sich als Fehler bei den bisherigen Gebäuden im Effizienzhaus-Plus-Programm, "dass dort nie größere Langzeitwärmespeicher eingesetzt wurden, obwohl die pro Kilowattstunde viel billiger in der Investition sind und Wärme über Tage und sogar Wochen speichern können."

Aber warum sind die Beteiligten darauf nicht selbst gekommen? Leukefeld: "Es könnte daran liegen, dass die meisten Planer und Handwerker keine Erfahrung und Kompetenz mit solchen großen Wärmespeichern haben und die beteiligten Architekten sich schwer täten, einen solchen in den Grundriss zu integrieren." von Alexander Morhart

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