Quelle: DEUTSCHE ROCKWOOL

Umweltforscher: Architekten verweigern ihre Verantwortung

Biozide schützen gedämmte Wände vor Algen

Ungeschützte Fassaden sind anfällig für Algen. Bild: Grund-Ludwig

Biozide kommen zum Einsatz, um Fassaden vor Algen zu schützen. Auch andere architektonische Konzepte könnten mehr Schutz bieten.

Gut gedämmte Fassaden können ein Problem sein. Der Grund: ab einer gewissen Dämmstoffdicke wird die innere von der äußeren Wandschale thermisch abgekoppelt, Tauwasser trocknet nicht schnell genug ab. Die feuchte Oberfläche ist dann ein idealer Nährboden für Algen und Pilze.

Dagegen gibt es präventiv zwei Maßnahmen: Architektur, die vorbeugt und Ausstattung von Putzen und Farben mit Bioziden. Realisiert wird derzeit vor allem letzteres. "Um Wärmedämmverbundsysteme dauerhaft und damit auch ressourcenschonend auszuführen, ist vielfach eine Ausrüstung der Beschichtung mit bioziden Wirkstoffen notwendig", sagt Christian Scherer, Gruppenleiter Chemie am Fraunhofer-Institut für Bauphysik. Er beschäftigt sich mit der Veralgung von Fassaden.

Die dabei eingesetzten Stoffe sind zwar erlaubt, aber umstritten. "Die verwendeten bioziden Wirkstoffe waren zum Teil wie Terbutryn für den Einsatz in der Landwirtschaft zugelassen, dürfen jetzt aber nicht mehr in diesem Bereich eingesetzt werden. Andere wie Zink-Pyrithion wiederum finden auch in der Kosmetik Anwendung", erklärt Scherer weiter. Für den früheren Chef des Bundes Dedutscher Architekten Christoph Mäckler ist die Ausrüstung von Wärmedämmung mit Bioziden ein Grund, das Verbot von Wärmedämmverbundsystemen in Neubauten zu fordern. Die würden ausgewaschen und dann in Boden und Gewässer gelangen.

Michael Burkardt, Forscher am schweizerischen Institut für Umwelt- und Verfahrenstechnik an der Hochschule für Technik Rapperswil, verweist schon seit einigen Jahren auf das Problem, dass Biozide  ausgewaschen werden und dann in der Umwelt landen: "Es gibt Untersuchungen aus der Schweiz und Deutschland, wo man einzelne Stoffe, die in Fassaden eingesetzt werden, im Gewässer nachweisen kann. Einer ist das Terbutryn. Der wird nur in Fassaden eingesetzt." Deshalb gilt hier das Argument mancher Hersteller auch nicht, man könne nicht so genau sagen, wo die Biozide herkämen, da sie auch in anderen Bereichen verwendet werden.

Spannend sind nun drei Fragen: Welche Fassaden sind anfällig, kann der Einsatz von Bioziden minimiert werden und gibt es Alternativen zu deren Einsatz? Die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen hat untersucht, von welchen Faktoren die Besiedlung mit Algen abhängt. "Sie ist unabhängig von der Dämmstoffdicke", sagen sie. Bewuchs sei bei Dämmstoffstärken zwischen 40 und 80 Zentimetern zu finden, aber auch bei größeren Dicken. Entscheidend sei die thermische Entkoppelung zwischen innerer und äußerer Wandschale.

Die Holsteiner konnten im Rahmen ihres Projekts keine Verbesserung  durch wasserabweisende Oberflächen finden. Das bestätigt auch Burkardt. Er hat aber sehr eindeutige Unterschiede zwischen unterschiedlichen Putzsystemen herausgefunden: "Es gibt eine Reihe von Studien die zeigen, dass mineralische Systeme eindeutig schneller abtrocknen als organische. Bei organischen Systemen zeigen unsere Untersuchungen, dass die Feuchtedauer sehr lang ist."

Als positives Beispiel nennt Burkardt das mineralische Putzsystem Aquapura, das habe die Branche sicher in Bewegung gebracht: "Dabei geht es nicht um ein Produkt für Millionen Quadratmeter, sondern um die Signalwirkung." Das neue System habe viele Dinge in Frage gestellt wie die Hydrophobierung.  Es ist ein mineralisches System, das mit Dickschichtputz arbeitet und auf Biozide verzichtet. Es ist aber durch den Dickschichtputz und den damit notwendigen Einsatz von Handwerkern, die diese Technik gut beherrschen, teuer. Das schrecke viele Bauherren und Architekten ab, denen es nur um Beschleunigung und Kosten sparen gehe, sagt Burkardt.

Burkardt beschäftigt sich seit einigen Jahren mit den Bioziden. Am Anfang war er den Herstellern von Farben und Lacken ein rotes Tuch. Das hat sich geändert, in der Frage der Biozide setze in der Branche ein Umdenken ein, so der Schweizer Experte: "Es gibt viele, die das ignorieren, viele andere setzen sich aber mit dem Thema intensiv auseinander und versuchen Lösungen ohne oder mit weniger Bioziden zu entwickeln". Insgesamt sei er positiv überrascht, wie schnell die Hersteller lernten und neue Erkenntnisse in Produkte einfliessen ließen. "Wenn das in anderen Branchen so wäre, wären wir beim Schutz der Ressourcen viel weiter", sagt Burkardt.

Auch Helge Kramberger, Leiter der Abteilungen Produktsicherheit, Analytik und Messtechnik des Dr. Robert-Murjahn-Instituts (RMI), beschäftigt sich mit der Frage der Veralgung. Das RMI ist aus den Deutschen Amphibolin-Werken hervorgegangen, einem großen Hersteller von Farben und Lacken. Auch er spricht sich für eine Minimierung des Biozideinsatzes aus. Alle Beteiligten hätten daran ein Interesse. "Biozide sind die teuersten Wirkstoffe in den Produkten, wenn man die reduzieren kann, kann man richtig Geld sparen", sagt er.

Eine dieser Methoden ist die Verkapselung der Biozide. "Das ist ein interessantes neues Verfahren, das erheblich dazu beiträgt, die Einsatzmengen zu reduzieren und die Auswaschung weiter zu vermindern", sagt Kramberger. Die filmgeschützten Caparol-Fassadenfarben und -Putze seien in den letzten Jahren sukzessive auf verkapselte Wirkstoffe umgestellt worden, so Kramberger weiter. Welcher Anteil aber schon umgestellt ist sagt er nicht. Auch Thor, Anbieter verkapselter Biozide, kann über deren Anteil am Markt keine Angaben machen. Er sei signifikant, sagt Thomas Wunder, Technischer Leiter Biozide bei Thor und ergänzt: "Unsere Produkte mit Verkapselungstechnologie haben bereits einen Anteil an unserem Absatzvolumen für diese Anwendung von mehr als 50 Prozent erreicht."

Kramberger sieht bei der Frage der Schadstoffbeurteilung auch die Handwerker in der Pflicht: "Entscheidend ist aus meiner Sicht der offene Umgang mit dem Kunden. Er muss erfahren, welche Lösungen es gibt und deren Vor- und Nachteile kennen. Ihn zu informieren ist hier auch eine Aufgabe des verarbeitenden Gewerbes", sagt er.

Aus Sicht von Burkardt sind derzeit aber auch und vor allem die Architekten gefordert: "Die sind mir zu lethargisch und ignorant, alle anderen Beteiligten tun etwas." Dachvorsprünge oder größere Leibungstiefen würden im Schutz gegen Algen viel bringen, sagt er, das ganze Erscheinungsbild müsse nachhaltiger ausgerichtet sein. Wenn das die Architekten einsähen, habe man viel erreicht. Das Wegschieben der Verantwortung im Namen der architektonischen Freiheit finde er nicht lauter, so der Schweizer Forscher. "Architekten verweigern ihre Verantwortung", wird Burkardt deutlich.

von unserer Redakteurin Pia Grund-Ludwig

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